Der Profi
hörte. Naiv, wie sie war, hatte sie sich so etwas nie vorstellen können. Sie hatte immer geglaubt, dass ihre Leute durch dick und dünn mit ihr gehen würden. Manchmal ist die Wirklichkeit eben eine grausame Lehrmeisterin!
»Das sind doch alles Lügen, oder?«
Jeder setzte sich in dem Zimmerchen, wo er gerade Platz fand. Dann erzählte Cruz in allen Einzelheiten die Geschichte von Palacios und Pink Palace , von Jarrete, Estilete und den toten vory . Als sie fertig war, war das Zimmer in Zigarrettenrauch gehüllt und die Whiskeyflasche bis auf den letzten Tropfen geleert. Moncada pfiff erstaunt.
»Er hat für Zagonek gearbeitet. Anschließend hat er sich an Palacios verkauft, um dessen Geschäft vor den Russen zu schützen. Dann legt er Zagonek um, und danach noch drei weitere vory , und schließlich Palacios selbst. Wenn er Glück hat, kommt er vielleicht mit mildernden Umständen davon …«
»Sehr witzig!«, erwiderte ich.
Moncada drehte sich zu mir um:
»Irgendein Problem, Corsini?«
»Dass ein Mann ein halbes Dutzend Menschen killt, Hilfskommissar Valls auf die Intensivstation bringt und sich dann noch anmaßt, Cruz für das Ganze die Schuld in die Schuhe zu schieben, finde ich nicht besonders witzig.«
Moncada sah mich wütend an.
»Außerdem beschuldigt man euch, gestern Nacht noch einen anderen Kollegen von der Polizei getötet zu haben.«
Jetzt hatte der Kripobeamte gesprochen, den Cruz Charly nannte.
»Dieser Typ hat für Jarrete gearbeitet«, erklärte Cruz. »Sie haben Corsini entführt und versucht ihn umzubringen. Es kam zu einem Handgemenge, und dabei wurde der Polizist getötet.«
Ich seufzte.
»Ja, ich habe ihn getötet! Ich bin dir dankbar dafür, dass du mich zu decken versuchst, Cruz, aber es war pure Notwehr. Ich habe ein ruhiges Gewissen.«
Wieder meldete sich Moncada zu Wort: »Cruz, du musst dich stellen und mit dem Richter sprechen. Wenn du dich versteckst, wird alles nur noch schlimmer.«
»Ich kann nicht«, antwortete sie.
»Cruz, sei nicht so stur!«
»Ich kann nicht …«, beharrte sie. »Wenn ich mich stelle, wird man mich des Totschlags bezichtigen, und Jarrete kommt ungeschoren davon!« Sie befeuchtete ihre Lippen. »Hört zu: Wir haben einen Plan …«
Ihren Kollegen gefiel der Plan ebenfalls nicht.
Die beiden Kripoleute aus Palma waren auf die Straße hinuntergegangen, um etwas zum Frühstücken zu kaufen, und ich wollte gerade los, um die nötige Ausrüstung für meinen Plan zu besorgen. Als ich die Zimmertür öffnen wollte, hielt Cruz mich zurück.
»Noch was, Corsini! Vorhin hast du damit angegeben, dass du dich ohne Schwierigkeiten vom Acker machen könntest. Was treibt dich denn an hierzubleiben?«
»Offene Fährten«, sagte ich, ohne lange nachzudenken. »Ich verdrück mich nicht gern mit eingezogenem Schwanz. Ist reine Sturheit, was weiß ich …«
Sie lächelte sanft und näherte sich mir, bis sie nur noch eine Handbreit von mir entfernt war.
»Es hat doch wohl nicht damit zu tun, dass du Fuad retten willst? Oder gar mich? Damit du es gleich weißt, falls dich ein überholtes Machotum treibt: Ich habe deine Hilfe nicht nötig! Ich glaube, du verweichlichst allmählich mit deinen ganzen moralischen Zweifeln.«
»Red keinen Quatsch!«, sagte ich und verließ das Zimmer. »Ich bin ein Söldner …«
Auf Madrids größtem Altstadtplatz, der Plaza Mayor, ist es an einem Samstagmorgen um vier ziemlich einsam, sieht man einmal von den Betrunkenen, den Nachtschwärmern, den schwedischen Touristinnen samt ihren italienischen Verehrern, den übermüdeten Kellnern, den Hippies und den Stadtstreichern ab. Um diese Uhrzeit hört man lediglich das Quietschen der verrosteten Metallgatter beim Verschließen der Nachtbars. Auf der Mitte des Platzes thront die Reiterstatue des spanischen Königs Philipp III ., und an den Seiten tummeln sich unter den Arkaden mehrere Cafés, die verschiedene Köstlichkeiten anbieten: morgens Spritzgebäck, mittags Kartoffeltortilla, und den ganzen Tag über versucht man ahnungslosen Touristen das Geld aus der Tasche zu ziehen.
Cruz und ich erreichten die Plaza Mayor im Taxi und begaben uns anschließend eiligen Schrittes zur südwestlichen Ecke des Platzes. Unter dem Torbogen Arco de Cuchilleros erkannten wir im Widerschein der Laternen zwei Gestalten. Die eine trug eine Baseballkappe und einen dicken Wollpullover, die andere einen langen grauen Regenmantel. Eigentlich fehlte nur noch der dichte Nebel Londons, und wir hätten uns
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