Der Profi
befürchten musste, dass sie am Ende noch die ganze Nachbarschaft wecken würde. Ich beharrte weiter auf dem Namen der Kontaktperson, jedoch vergebens. Da zog »Stalin« seine Riesenknarre heraus und zielte auf die Frau. Einmal mehr verfluchte ich das mangelnde Taktgefühl des Osseten, aber die Pistole zeitigte sofortige Wirkung. Die Frau verstummte.
»Bekir Tipiler?«, fragte ich wieder.
»Bekir?«, wiederholte sie.
»Ja, genau der!«
Die Frau beäugte den metallenen Lauf der Pistole. Gleich darauf rief sie nach jemandem, der im Nebenzimmer fernsah und den der Krach offenbar nicht im Geringsten beeindruckt hatte. Ein fünfzehnjähriger Junge erschien im Flur, musterte uns von oben bis unten und teilte uns in passablem Englisch mit, dass sein Vater, besagter Bekir, soeben im Ham m ˉ am des Viertels ein Dampfbad genoss. Bekir hatte von mir jedoch den Befehl erhalten, zu Hause auf uns zu warten. »Vor allem Diskretion «, hatte meine Anweisung gelautet. »Wir wollen auf keinen Fall einen Skandal, der die Nachbarn auf den Plan ruft!« Der Mangel an Professionalität, der in unserem Beruf vorherrscht, ärgert mich jedes Mal wieder aufs Neue. Obwohl, wenn man es genau betrachtet, bekommen »Männer für spezielle Aufträge« wie ich dadurch erst wirklich Arbeit …
»Und wann kommt dein Vater zurück?«
Der Halbwüchsige zuckte mit den Schultern.
»Er ist vor zehn Minuten aus dem Haus …«
Das bedeutete, er würde kaum vor anderthalb Stunden wieder hier sein. Ein Sekunde erwog ich die Möglichkeit, er könne uns verraten haben, schlug mir den Gedanken jedoch gleich wieder aus dem Kopf. Bekir wusste, dass in diesem Fall seine Tage gezählt waren. Wir hatten jedenfalls keine andere Wahl, als auf Herrn Bekir Tipiler zu warten. Wir ließen von seiner Frau ab und machten es uns im Wohnzimmer gemütlich. Rafi setzte sich in einen Sessel und bat um ein Glas Wasser. Er war leichenblass und transpirierte wie ein Schwein. Ich konnte ihm deshalb keine Vorwürfe machen …
Dann stammelte »Stalin« plötzlich: »Wir gehen Bekir holen?«
»Nein, wir warten besser hier auf ihn. Außerdem, wie wollt ihr das denn anstellen? Wollt ihr ihn etwa splitterfasernackt aus der Sauna ziehen?«
Der Ossete überdachte die Sache nochmals, dann brabbelte er etwas vor sich hin, was sich wie ein Einverständnis anhörte.
Quälend langsam verging die Zeit.
Irgendwann stand der Junge auf und erklärte, er wolle einen Moment auf die Straße hinunter. Mit einer sanften Kopfbewegung gab ich ihm zu verstehen, dass ich damit nicht einverstanden war. »Nicht bevor dein Papi hier aufkreuzt!« Er schob herausfordernd das Kinn vor, und ich konnte sehen, wie er seine Möglichkeiten abschätzte, in Richtung Tür zu rennen. Vorsichtshalber zog ich meine Glock und legte sie auf den Wohnzimmertisch mit der geklöppelten Spitzentischdecke. Ich schüttelte erneut den Kopf. »Die Kugel ist schneller als du …« Der Junge setzte sich an seinen Platz. Aber mir war klar, dass er es in jedem Moment wieder versuchen könnte. Die Jugend überschätzt häufig ihre eigenen Grenzen.
Bekir ließ geschlagene zwei Stunden auf sich warten. Ausreichend Zeit, um uns von Frau Tipiler einen frisch gekochten türkischen Kaffee nach traditioneller Art kredenzen zu lassen, der es in sich hatte. Das Getränk war nicht übel, aber der Bodensatz machte aus meiner Zunge Schmirgelpapier. Als Bekir schließlich zur Tür hereinkam und uns entdeckte, wechselte sein Gesichtsausdruck im Bruchteil einer Sekunde von Überraschung zu Entsetzen.
»Aber … wir hatten unsere Verabredung doch erst morgen«, stotterte er in gebrochenem Englisch. »Man hat mir gesagt, morgen …«
Ich stand auf und klopfte ihm auf die Schulter.
»Du weißt genau, dass das nicht stimmt. Sie ist heute!«
Bekir rang mit einer Erklärung.
»Schon gut!«, fiel ich ihm ins Wort. »Morgen früh findet die Übergabe statt. Sorg dafür, dass meine Kollegen sich etwas ausruhen können.«
Bevor ich ging, schnappte ich mir Rafis Koffer, der im Flur stand. Bekir begleitete mich ins Treppenhaus. Er war zuvorkommend und versicherte mir, dass seine Frau meinen Kollegen ein köstliches Abendmahl bereiten würde und dass er für die beiden natürlich auch Schlafsäcke hätte, damit sie es sich auf dem Sofa bequem machen konnten.
Da sagte ich seufzend: »Bekir, hattest du uns nicht ein Bett für jeden versprochen?«
»Nein, nein, nein. Natürlich, wir haben genug Platz für alle! Meine Wohnung ist bescheiden, aber
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