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Der Profi

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Titel: Der Profi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fernando S. Llobera
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Putzwut durch ein dreimaliges diskretes Klopfen an der Wohnungstür unterbrochen. Ich machte mich auf das Schlimmste gefasst. Aber es war Marcel, mein Nachbar, der ein Stockwerk tiefer wohnte. Wie immer sah er wie aus dem Ei gepellt aus: feiner Stoffanzug, Schal, eine rosarote Baseballmütze. Oje … schwuler geht’s nicht, dachte ich mir. Aber jedenfalls war mir Marcel sympathisch.
    »Lucca! Wo hast du dich denn verkrochen? Ohne den Mann mit dem größten Sex-Appeal von Madrid verliert dieses alte Stadtviertel noch seinen ganzen Charme!«
    »Ich freue mich ebenfalls, dich wiederzusehen, Marcel!«
    Dann trat mein Nachbar ein. Sein Blick fiel als Erstes auf die Wohnzimmerlandschaft, die noch immer wirkte wie nach einem Bombenanschlag.
    »Also, Lucca, da machst du dich einfach so davon, ohne dich zu verabschieden, und anschließend kreuzen hier lauter abscheuliche Typen auf, die sich einen Spaß daraus machen, mich mit Fragen zu löchern und mit ihren Grobheiten zu traktieren. Du kannst es dir nicht vor stellen! Dieser fürchterliche Polizist, wie heißt er doch gleich? Durano ! Der ist wirklich unerträglich! Und später diese Jungs, ohne jeglichen ästhetischen Geschmack, na du weißt schon …« Dann näherte er sich mir, und seine Stimme nahm einen verschwörerischen Klang an: » Verbrecher … Leute aus der Unterwelt. Ohne Anstand und Benimm, my Darling !«
    Marcel klopfte mir vorwurfsvoll mit dem Zeigefinger auf die Brust.
    »Und du vergnügst dich derweil an irgendwelchen Traumstränden. Sonne, weißer Sand und schwellende nackte Jünglinge, so weit das Auge reicht. Übrigens ereignete sich der Zwischenfall in deiner Wohnung eine Woche nach deiner Flucht. Ich hörte, wie sie in der Nacht kamen, aber ich wollte die Polizei nicht rufen für den Fall, dass … Na ja, du verstehst, was ich meine«, sagte er mit einem Augenzwinkern.
    »Willst du was trinken?«, lud ich ihn ein. »Obwohl ich dir eigentlich kaum was anbieten kann …«
    »Nein danke, caro . Ich habe heute noch einen Termin bei einer entsetzlichen Frau, in ihrer Wohnung. Sie will, dass ich ihr Wohnzimmer mit Lamé und Samt dekoriere. Selbstverständlich habe ich mich geweigert. Samt ist längst out , indische Seide ist in , sage ich zu ihr, aber sie will davon nichts wissen! Was tut man nicht alles für Geld, nicht wahr, Lucca? Ciao , bambino …«
    Als es draußen dunkel wurde, nahm mein Apartment langsam wieder zivilisierte Züge an. Meine russischen Kameraden und ihre Gegenspieler von der Polizei besaßen, wie es schien, die Höflichkeit, mich zumindest heute Abend nicht zu belästigen. Also gönnte ich mir eine heiße Dusche und trank ein ordentliches Glas guten Whiskey. Aus der einzigen Flasche, die den Überfall auf meine Wohnung heil überstanden hatte. Anschließend beschloss ich, ein Restaurant in der Nähe der Plaza de Oriente aufzusuchen. Als ich das Gebäude verließ, musste ich allerdings feststellen, dass im Hauseingang gegenüber schon ein getarnter Spitzel seinen Posten bezogen hatte. Mit der Diskretion, zu der meine Kollegen von der Mafia nun einmal imstande waren. Soll heißen: überhaupt keiner!
    Eine der dauerhaftesten Erinnerungen meiner Kindheit ist der sonntägliche Geruch nach frisch gebackener Focaccia . Ich wuchs in einem kleinen, armseligen und stillen Dorf in der Nähe von Neapel auf. Eine Handvoll weiß getünchte Häuser inmitten eines Tals voller Oliven- und Obstbäume. Mein Vater bekleidete das Amt des Bürgermeisters, obwohl seine Kompetenzen über die reine Verwaltungsarbeit hinausgingen. Denn überall, wo der Einfluss des fernen Rom nicht hingelangte, führte er seine persönliche Rechtsprechung ein. Eine strenge, ausge wogene Justiz, in einem Landstrich voll hartgesottener Männer. Ein Killer der Camorra brachte ihn um. Die Tat war die Machtdemonstration eines lokalen Mafiabosses. Seine persönliche Art zu sagen: » Ich bin der Capo dieser Region!«
    Ich suchte jahrelang nach dem Mann, der meinen Vater auf dem Gewissen hatte, um meine persönliche Gerechtigkeit walten zu lassen.
    Ich erinnere mich noch genau an jene Focaccia und wie meine Mutter sie, belegt mit Basilikum, schwarzen Oliven und frischen Tomaten, aus dem Ofen zog. Während sie sich in der Küche mit der Focaccia plagte, durchströmte der Duft der frisch gebackenen Brotfladen unser ganzes Haus. Auch meine Mutter fiel an jenem unheilvollen Tag dem Attentat zum Opfer. Und ich brach in ein neues Leben auf. Und zwar in die Bronx, zu Zio Enzo, einem

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