Der Profi
bereits zu einem so frühen Zeitpunkt an die Fersen geheftet hatte, ließ mich ein wenig nervös werden: Es war gut möglich, dass es sich dabei um einen Wink mit dem Zaunpfahl handelte von wem auch immer. Ich sagte mir, dass ich meine Sicherheitsmaßnahmen am nächsten Tag unbedingt verschärfen musste.
Dann beschloss ich kurzerhand, das Dikonya aufzusuchen, eine Bar im Stadtteil La Latina, wo sich ein Typ namens El Cordobés aufzuhalten pflegte. El Cordobés glaubte nicht an die Nützlichkeit von Handys, und so musste ich ihn mit traditionellen Methoden ausfindig machen, ihm unter Umständen eine Nachricht hinterlegen, damit er sich mit mir in Verbindung setzte. Ich hatte Glück und traf ihn an der Bar, wo er damit beschäftigt war, sich volllaufen zu lassen und gemeinsam mit dem Kellner an der Verbesserung der Welt zu arbeiten.
»Und, was hab ich in den letzten Monaten alles so verpasst?«
Der Mann, den jeder El Cordobés nannte, sprang überrascht vom Hocker auf und umarmte mich überschwänglich.
»Sieh mal einer an«, rief er dem Kellner mit einer Begeisterung zu, die mich überraschte, »quicklebendig ist er! Hab ich’s nicht immer gesagt? Respekt, Respekt, Lucca! Wenn man bedenkt, was für einen Hass Viktor auf dich hat …« Damit spielte El Cordobés auf niemand Geringeren als meinen ehemaligen Boss Viktor Stonowitsch an. »Also, wenn wir Wetten auf dich abgeschlossen haben, gingst du immer als toter Mann hervor. Aber ich hab’s denen hier ja gesagt … Menschenskinder, ihr habt von Tuten und Blasen keine Ahnung! Der Itaker ist wie ’ne Katze.«
El Cordobés ist hager und schlaksig, und er sieht meistens müde und ungepflegt aus. Normalerweise steckt ihm ein Zahnstocher im Mundwinkel, und auf dem Kopf trägt er stets einen breitkrempigen Hut. Er verdient seinen Lebensunterhalt mit Schwarzhandel aller Art in der Altstadt von Madrid. Er ist groß gewachsen, extrem lang sogar, hat eingefallene Wangen und meistens eine schwarze Weste an. Er weiß immer, was auf der Straße gerade geredet wird. Oder besser gesagt: Er ist die menschliche Verkörperung der Straße. Falls jemand glaubwürdige Informationen sucht, wendet er sich am besten an El Cordobés .
Dann ermahnte er mich: »Junge, bestell dir ’nen Whiskey!«
Offensichtlich wollte er mir etwas Wichtiges mitteilen.
»Aber bitte von der milden Sorte«, sagte ich zum Kellner.
»Das kann doch nicht dein Ernst sein?«, entfuhr es El Cordobés . »Steckst du etwa schon wieder in Schwulitäten und musst dich nüchtern halten? Na komm schon, benimm dich nicht wie ein Waschweib!« Dann wandte er sich an den Kellner: »Schenk ihm von dem ein, den alle trinken. Weicheier und warme Brüder gibt’s bei uns nicht, he … Also, Lucca, dann schieß mal los: Wo hast du denn die ganze Zeit gesteckt?«
»Erholt hab ich mich von dem ganzen Trubel hier in der letzten Zeit«, antwortete ich ausweichend. »Und, Cordobés , was reden die Leute so auf der Straße?«
Er verzog die Mundwinkel und hob die Schultern.
»Ach, alles Mögliche!«
Der Whiskey verbrannte mir ordentlich den Rachen.
»Mich interessiert«, sagte ich, sobald ich wieder zu Atem kam, »ganz besonders, was Viktor so treibt.«
Viktor Stonowitsch war der Boss der Finanzgruppe Stonowitsch & Partner und bis vor kurzem Capo der Madrider Russenmafia. Er engagierte mich im Jahr 2004, um all das in Ordnung zu bringen, was seine Freveltaten, sein mangelndes Taktgefühl und seine beschränkte Intelligenz zerstört hatten. Ich erledigte verschiedene Aufträge für ihn und widmete mich gemeinsam mit anderen Mafiosi der Kontrolle und Führung seiner Geschäfte. Nebenbei koordinierte ich die Machtverteilung unter den Russen in der spanischen Hauptstadt. Darüber hinaus brachte ich für Viktor mehrere Waffenverkäufe an islamische Terroristen unter Dach und Fach, und ich hab ihm auch bei anderen Unternehmungen erfolgreich unter die Arme gegriffen. Ich hab meine Aufträge immer mit Bravour aus geführt, bis eine Meinungsverschiedenheit Viktor ge gen mich aufbrachte und er mich aus dem Weg schaffen wollte. Aber jetzt saß mein Exchef, wie gesagt, erst mal selbst hinter Gittern.
Und zwar im Knast von Soto del Real, wo viele berühmte Häftlinge schmachteten. Ihm blieben noch zwei Jahre Haft. Eigentlich viel zu wenig für eine Kakerlake wie Viktor. Er versuchte auch aus dem Bau heraus seine Befehlsgewalt aufrechtzuerhalten, was allerdings gar nicht so einfach ist, denkt man an all die Newcomer, die bloß darauf
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