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Der Prometheus-Verrat

Der Prometheus-Verrat

Titel: Der Prometheus-Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Ludlum
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rothaariger Mann Anfang vierzig, riet häufig genug: »Jim, es ist gehüpft wie gesprungen. Lassen Sie Ihr Gewissen den Ausschlag geben.« Cassidy war damit immer gut gefahren.
    Die tief stehende Abendsonne strahlte durch die Lamellenjalousie, warf horizontale Lichtstrahlen in das Büro des Senators und spiegelte sich in dem auf Hochglanz polierten Vollholzschreibtisch. Der Senator von Massachusetts blickte von den Vorlagen auf und schaute Fry ins Gesicht. »Ich hoffe, Sie wissen, wie wertvoll Sie für mich sind, Roger«, sagte er, wobei ein Lächeln um seine Mundwinkel spielte. »Sie sind so tüchtig, so pragmatisch, so gewieft, dass ich es mir tatsächlich ab und an einmal erlauben kann, zu sagen, was ich für richtig halte.«
    Cassidy war nicht nur Senator, er sah auch aus wie einer: stattliche Figur, silbergraue Mähne, scharf geschnittene Gesichtszüge, ausgeprägte Wangenknochen und eine breite Stirn. Er war ausgesprochen fotogen. Was an seiner Erscheinung aber am meisten bestach, waren seine warmen, freundliche Augen, die seinen Wählern den Eindruck vermittelten, er sei ihr Vertrauter. Dann wiederum konnten sie eiskalt und stechend wirken, einschüchternd auf alle, die sich mit ihm anzulegen versuchten.
    »Ab und an einmal?« Fry schüttelte den Kopf. »Allzu häufig, wenn Sie mich fragen. Häufiger als es Ihnen politisch gut täte. Und irgendwann werden Sie damit nicht mehr durchkommen. Die letzte Wahl war schon kein Spaziergang, wenn ich Sie daran erinnern darf.«

    »Sie machen sich zu viele Sorgen, Roger.«
    »Irgendjemand muss sie sich machen.«
    »Glauben Sie mir, unsere Wähler interessieren sich für solche Dinge. Habe ich Ihnen diesen Brief schon gezeigt?« Er stammte von einer Frau, die an der Nordküste von Massachusetts lebte. Sie hatte eine Marketing-Firma verklagt und herausgefunden, dass diese Firma seit 15 Jahren Informationen über sie zusammentrug. Auf mittlerweile 30 eng bedruckten Seiten standen über 900 einzelne Hinweise auf ihre Person: die von ihr gewählten Schlaftabletten, Mittel gegen Sodbrennen und die Hämorrhoidensalbe, die Marke ihres Duschgels. Man kannte ihren Kreditrahmen, wusste von ihrer Scheidung, von ihren Arztbesuchen und von ihren Sünden im Straßenverkehr. Aber das war nicht ungewöhnlich. Die Firma hatte ähnliche Dossiers über Millionen anderer Bürger angelegt. Ungewöhnlich war nur, dass diese Frau dagegen protestierte. Und Cassidy nahm diesen Protest ernst.
    »Sie haben wohl vergessen, dass ich den Brief selbst beantwortet habe«, antwortete Fry. »Was ich sagen wollte, ist: Ich fürchte, Ihnen ist nicht ganz klar, was Sie da aufrühren. Diese Sache trifft den Nerv der modernen Marktwirtschaft. «
    »Umso wichtiger ist es, darüber zu diskutieren«, sagte der Senator ruhig.
    »Manchmal ist es wichtiger, zu überlegen, wie man den nächsten Tag überstehen kann.« Aber Fry wusste um Cassidys Schrullen: Moralische Entrüstung triumphierte über politisches Taktieren. Ein Heiliger war der Senator nicht; er trank ganz gern einen über den Durst und war – vor allem früher, als er noch glänzend schwarze Haare hatte – häufig in fremden Betten zu Gast. Dabei hatte er sich aber stets ein Mindestmaß an politischer Integrität bewahrt: Er versuchte das Richtige zu tun, zumindest in Fällen, in denen das Richtige ebenso klar einzuschätzen war wie die politischen Risiken einer solchen Entscheidung. Über diesen idealistischen Zug seines Chefs regte sich Fry auf, obwohl er ihn – geradezu widerwillig – respektierte.

    »Erinnern Sie sich an Ambrose Bierces Definition eines Staatsmannes?« Der Senator zwinkerte ihm zu. »Ein Politiker, der, obwohl von allen Seiten bedrängt, aufrecht bleibt.«
    »Gestern habe ich an der Garderobe Ihren neuen Spitznamen aufgeschnappt.« Fry grinste. »Er wird Ihnen gefallen: Senator Kassandra.«
    Cassidy krauste die Stirn. »Leider hat niemand auf Kassandra gehört«, bemerkte er. »Immerhin kann man ihr nicht vorwerfen, sie hätte nicht rechtzeitig gewarnt …« Er stockte. Über dieses Thema hatten die beiden schon häufig genug gesprochen. Fry wollte ihn eigentlich ja nur in Schutz nehmen, und in der Regel nahm Cassidy seinen Rat auch dankbar an. Aber in dieser Sache hatte er sich festgelegt.
    Senator Cassidy würde sich von seinem Vorhaben durch nichts und niemanden abbringen lassen.
    Um nichts in der Welt.

Sechstes Kapitel
    A ls Bryson auf das zentrale Treppenhaus zulief, hörte er hinter sich Schritte auf dem metallenen Deck

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