Der Prophet des Teufels
überheblichste Kartenschläger der Welt.
Nie hat ein Mann besessener an seinem eigenen Untergang gearbeitet als Erik Jan Hanussen. Er will mehr, als er hat. Seine Augen, sein Mund, seine Hände werden noch gieriger. Es genügt ihm nicht mehr, daß er viele seiner Mitmenschen beherrscht. Er will sie unterwerfen. Er will die Leute, die seinen gespenstischen Glauben an sich selbst nicht teilen, züchtigen können, mit der Faust, wenn es sein muß.
Jeden Morgen beim Frühstück ist Regiebesprechung im Hause Hanussen. Er liebt es, das Frühstück in größerer Gesellschaft einzunehmen. Neben ihm sitzen seine jeweiligen Favoritinnen. Die Baronin Prawitz hat Hanussen längst verlassen. Sie fand ein Leben als Haremsdame unerträglich. Der »Meister« spielt für sein Leben gerne die Frauen gegeneinander aus. Szenen seinetwegen sind ihm willkommen. Er hält sie, wie alles, was im Hause geschieht, mit Tonaufnahmegeräten fest und spielt sie mitunter seinen Gästen zur Erheiterung vor.
»Was gibt es heute, Dzino?«
»Um zehn Uhr kommt die Gräfin Wengler.«
»Haben Sie ein Photo von ihr?«
Dzino legt es vor.
»Nicht übel«, sagt Hanussen. »Die Augen und der Mund sind ganz große Klasse. Das Kinn ist mir zu spitz. Was meint ihr?« Er reicht das Photo herum.
»Ihr Mann ist vier Jahre älter als sie«, fährt Dzino fort. »Er betrügt sie mit einer Friseuse aus dem Salon Grüner. Das Mädchen ist 17 und rotblond. Hier ist das Photo.«
»Die wäre mir auch lieber als die andere«, entgegnet Hanussen.
Er belegt ein Brot fingerdick mit Schinken. Sein Appetit ist barbarisch.
»Weiter«, sagt Hanussen, »was noch?«
»Direktor Steinberg kommt um elf. Der kleine Dicke. Er hat irgendwelche Aktien gekauft und traut ihnen nicht.«
»Und dann? Wer ist noch angesagt?«
»Graf Helldorf.«
Hanussen legt sein Brot aus der Hand.
»Wer ist das?« fragt er kauend.
»Der Führer der Berliner SA.«
»Ach so«, antwortet der Hellseher, »SA marschiert. Im gleichen Schritt und Tritt. Ein Freund von Ihnen, nicht?«
»Ein Bekannter. Wir sind uns im Krieg begegnet. Er war auch Offizier.«
»Wer war das nicht? Und jetzt braucht er Geld?«
»Ja.«
»Schicken Sie die anderen heute weg. Ich will Helldorf allein. Was ist das für ein Mann?«
Dzino lächelt.
»Das übliche Kaliber. Säuft, spielt, macht Weibergeschichten. Reicht nie mit dem Geld. Er stammt aus alter Familie; sie will aber nicht mehr viel mit ihm zu tun haben. Er ist ein Rabauke mit blauem Blut.«
»Richten Sie Bargeld her«, sagt Hanussen. »Ich habe eine glänzende Idee. Machen Sie die Jacht flott! Wir fahren heute abend. Sorgen Sie dafür, daß der Sekt kalt ist und genügend Frauen da sind! Wann kommt Ihr Freund Helldorf?«
»Er kommt um ein halb zwölf Uhr.«
»Wir machen einen großen Empfang für ihn. Lassen Sie ihn sofort zu mir herein.«
Der Graf trägt Zivil. Er ist schlank, fast hager. Er geht bewußt aufrecht. Er mustert kalt seine Umgebung. Er kommt nicht freiwillig. Er braucht Geld. Die Führer der Bewegung brauchen Geld. Was ist ein Landsknecht ohne Moneten?
Abends, wenn sie fertig sind mit ihren Reden, wenn sie die Plakate geklebt haben, wenn die einfachen Kameraden zu Hause ihre blankgewichsten Stiefel ausziehen, wenn sie genug für Deutschlands Erneuerung getan haben, dann beginnt der Durst, der Tanz, das Spiel. Dann wird um Geld und Frauengunst gewürfelt. Dann erholen sich die Erneuerer Deutschlands von ihrem schicksalsträchtigen Kampf um das Vaterland.
Dann pumpen sie sich Geld bei den Bonzen der Systemzeit, die sie bekämpfen. Dann teilen sie mit den Nachkriegsspekulanten den Weinkeller und die Braut. Dann führen sie ein Leben, wie sie es zu führen wünschen, wenn sie erst an der Macht sind. Wenn der SA-Mann Brand seine Stiefel auszieht, schlüpft der SA-Führer Helldorf in seine glänzenden Lackschuhe. SA marschiert.
»Nehmen Sie Platz, Herr Graf«, begrüßt Hanussen seinen Gast. »Ich habe viel von Ihnen gehört. Ich gehöre zu Ihren Bewunderern.«
»Das freut mich.«
»Sie stehen vor dem Sieg. Hanussens Prophezeiungen gehen immer in Erfüllung. Die NSDAP wird siegen. Bald schon. In Monaten. Ich sehe Fahnen wehen und Spruchbänder: ›Ein Volk, ein Reich, ein Führer!‹ Ich sehe ein ganzes Volk marschieren. Ich sehe den Führer in die Reichskanzlei einziehen.
Was kann ich für Sie tun, Herr Graf? Ich weiß es. Reden wir nicht darüber. Dzino wird Sie mit allem versorgen. Kommen Sie, sooft Sie wollen. Und jetzt sind Sie mein Gast.
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