Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Prophet des Teufels

Der Prophet des Teufels

Titel: Der Prophet des Teufels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
Vom Netzwerk:
ein dutzendmal erlebt. Im Dunkeln glühen die Zigaretten auf. Mit einer Handbewegung bittet Hanussen um Ruhe.
    Die Schauspielerin beginnt zu sprechen. Sie setzt unartikulierte Silben nebeneinander. Die Silben ballen sich zu Worten, die Worte zu Sätzen. Man versteht nichts. Die Versammlung wird gespannter. Maria Paudler spricht deutlicher. Es beginnt, wie in jeder Vorführung Hanussens.
    Sie errät Gegenstände, die die Zuschauer in die Hand nehmen. Sie prophezeit Namen, Orte, zeigt Zusammenhänge auf. Sie beantwortet die Fragen präzise. Ein Dutzend Hellseher kann das. Es ist Gedankenübertragung. Aber dann, gegen Schluß der Darbietung, kommt etwas Merkwürdiges, etwas Eigenes, etwas Seltsames. Den Zuhörern läuft es kalt den Rücken hinab.
    »Ich sehe es«, keucht die Schauspielerin, »ein Unheil. Deutschlands Feinde holen aus … zu einem großen Schlag … Sie wollen die Bewegung vernichtend treffen. Sie wollen sie aufhalten … Ich sehe ein Haus, ein großes Haus … Es brennt … es brennt nieder. Es soll das Signal sein für einen Aufstand.«
    Die SA-Führer unter den Zuhörern fahren erschreckt auseinander. Die Reporter werden unruhig. Was hat Hanussen vor? Treibt er seine politische Wahrsagerei auf die Spitze? Überbietet er sich selbst?
    »Aber Hitler wird siegen«, sagt Maria Paudler in die Unruhe hinein.
    »Licht an! Licht an!«
    Es ist still geworden, totenstill.
    »Prost!« ruft einer.
    »Meine Damen und Herren«, sagt Hanussen, »über diesen Teil der Veranstaltung wollen wir Stillschweigen bewahren. Das versprechen Sie mir doch, nicht wahr?«
    Der Reichstag brennt!
    Allen Teilnehmern der Veranstaltung in Hanussens Villa wird die Prophezeiung klar. Hanussen hat recht behalten. Sein letzter Sieg. Sein allerletzter. Sein letzter Trick. Sein allerletzter. Wer mit Helldorf und Ernst verkehrt, weiß, daß sie Feuer legen werden. Hanussen war so vertraut mit den Brandstiftern, daß sie ihr Vorhaben ihm gegenüber nicht geheim hielten. Hanussen suggerierte Maria Paudler seine Kenntnis. Aber die Party dringt aus den vier Wänden der eleganten Villa. Man flüstert sich zu, daß nicht alles mit rechten Dingen zugegangen sein kann. Man munkelt, daß die SA selbst das Reichstagsgebäude angezündet hat. Hanussen hat es gewußt. Hanussen hat es gesagt.
    Irgendwo drückt irgendwer auf den Knopf des Parteiapparates.
    Schluß mit Hanussen heißt das.
    Nach dem Reichstagsbrand jagen sich die Gerüchte. Und wo Gerüchte kursieren, fühlt sich Hanussen in seinem Element. In seiner Hauszeitung läßt er deutlich durchblicken, er habe den Reichstagsbrand vorausgesagt.
    Aber hat er ihn wirklich vorausgesagt? Kronzeugin jener Séance ist die Schauspielerin Maria Paudler, die sich, um nicht Spielverderberin zu sein, als Medium zur Verfügung gestellt hatte. Und ihrer Darstellung nach, an deren Richtigkeit nicht zu zweifeln ist, verlief die Séance ganz anders.
    Nach einem vergeblichen Versuch, Maria Paudler in Trance zu versetzen, hatte Hanussen gefragt:
    »Was sehen Sie? Sehen Sie Kreise?«
    In jedem beleuchteten Zimmer bemerkt man bei geschlossenen Augen Lichtreflexe. Also antwortete das Medium: »Ja.«
    »Sind es rote, lodernde Kreise?«
    »Ja.«
    »Können es Flammen sein? Flammen aus einem Haus?«
    »Ja, es kann Feuer oder etwas ähnliches sein«, antwortete die Schauspielerin und rettete sich, um dieses makabre Spiel nicht länger mitmachen zu müssen, in eine Ohnmacht.
    Aus diesen Fragen und Antworten spinnt sich Hanussen die für seinen Ruhm so förderliche Legende zurecht. Eine Legende, die er braucht, um zum unersetzlichen politischen Berater des Dritten Reichs zu werden. Und als Maria Paudler später gerichtlich gegen ihn vorgehen will, ist es zu spät. Hanussen lebt nicht mehr.
    Kurz vor 20 Uhr pflegt Hanussen in das Theater zu kommen. Er ist pünktlich auf die Minute. Aber an einem Abend ist Hanussen nicht da.
    Der Schminkmeister entdeckt es zuerst. Er läuft zum Inspizienten. Der Inspizient meldet es Direktor Duisberg.
    »Machen Sie kein so unglückliches Gesicht«, sagt der kleine, bewegliche Mann. »Warum soll nicht auch Hanussen einmal zu spät kommen? Ziehen Sie eine andere Nummer vor! Schicken Sie jemanden in sein Café!«
    Hanussen ist nicht im Café.
    »Rufen Sie in seiner Wohnung an.«
    Hanussen ist nicht zu Hause.
    »Rufen Sie beim Grafen Helldorf an.«
    Hanussen ist nicht beim Grafen Helldorf.
    »Rufen Sie im ›Romanischen‹ an!«
    Hanussen ist nicht im ›Romanischen‹.
    Er ist wie vom

Weitere Kostenlose Bücher