Der Prophet des Teufels
Dort steht Hanussen. Er hat glasige Augen vom Kognak. Er ist wortkarg. Er ist schlechtgelaunt. Er spricht mit niemandem. Sein Glückwunsch kam kalt und formell. Sooft ihn Grace sieht, schrickt sie zusammen. Dzino aber lacht. Sein Meister kann ihn nicht bluffen …
Am 23. September 1937, viereinhalb Jahre nach Hanussens Tod, meldet der Pressebericht der Polizeidirektion Wien:
»Der Croupier Ismet Dzino hat heute seine Frau Grace und seinen vierjährigen Sohn Rudolf in seiner Wohnung erschossen. Anschließend richtete er sich selbst. Als Motiv der Tat wird Eifersucht angesehen.«
Viereinhalb Jahre nach Hanussens Tod erfüllt sich seine schreckliche Prophezeiung. Einen Augenblick hält die Welt den Atem an. Wie? War der »Hellseher« Hanussen nicht längst als Artist, als Magier, wenn man so will, als Schwindler entlarvt worden? Und jetzt ging sein makabrer Fluch doch in Erfüllung? Wort für Wort!
Unter allen Rätseln, die der Dämon Hanussen auch heute noch der Welt aufgibt, ist die Tat von Wien das seltsamste geblieben. Wer könnte es lösen?
Die Rowdies der Straße werden zu Herren. Die Bewegung siegt. Die vor kurzem noch verbotenen Braunhemden avancieren zur Staatsuniform. Die SA marschiert mit Fackeln in der Hand durch das Brandenburger Tor. Berlin, soweit es noch nicht umgeschwenkt ist und soweit es nicht den Humor verloren hat, produziert den ersten politischen Witz.
»Sagen Sie mal, mein Lieber«, soll der greise Reichspräsident von Hindenburg beim Anblick der an der Reichskanzlei vorbeiparadierenden SA schlaftrunken zu seinem Adjutanten gesagt haben, »wo kommen denn auf einmal die vielen Russen her?«
Hanussen feiert den Sieg der Bewegung als seinen eigenen. Er veranstaltet Siegesparties. Er klopft den neuen Herren stolz auf die Schulter. Der Hellseher liegt richtig. Er hat die Wechsel des Berliner SA-Führers Graf Helldorf in der Tasche – Wechsel, die außer ihm kein Mensch in Berlin angenommen hätte. Hitler und Hanussen sind auf dem Gipfel ihrer Macht. PEM, der Berliner Erzjournalist, formuliert:
»Hitler und Hanussen haben eines gemeinsam: Sie setzen ihre Karriere auf die Suggestion großer Versprechungen. Der eine setzt auf Hellsehen in der Politik. Der andere auf Politik im Hellsehen.«
Die Säuberung beginnt. Kommissare werden entsandt. Gestern noch hoben sie die Kippen von der Straße auf, und heute sind sie die Machthaber. Aber sie sind die Freunde Hanussens. Der Krug geht zum Brunnen …
Hanussens Einladungen werden noch größer, noch teurer, noch hektischer. Das Braunhemd löst den Smoking ab. Dicke Perserbrücken verschlucken in der Villa an der Lietzenburger Straße den Marschtritt der SA-Stiefel. Die Systemzeit ist zu Ende. Ab sofort beginnt das System des Totschlags.
Die Freunde versammeln sich. Hanussens Kreis ist noch sehr gemischt. Er kann nicht ganz den Umgang von gestern entbehren. Ist ihm wohl in seiner Rolle? Wie fühlt er sich unter den Helldorfs, Ernsts und Röhms? Wie lange wird die Katze mit der Maus Freundschaft halten? Hanussen hat nie verheimlicht, daß er jüdischer Abstammung ist.
Am Vorabend der Sensation, die um die ganze Welt geht und für Deutschland verheerende Folgen haben wird, holt Hanussen zu seinem großen Coup aus. Die blonde Schauspielerin Maria Paudler hat sich ihm als Medium zur Verfügung gestellt. Ein Dutzend Journalisten ist da, ein Dutzend SA-Führer und ein Häufchen lächelnder, koketter, eleganter Frauen. Hanussens Orgien, seit einem Jahr politisch, werden national. Nationalsozialistisch. Hanussen nennt sich Hitlers Prophet. Er hat alles getan, um als Prophet des Teufels anerkannt zu werden.
Die Teilnehmer dieser Séance werden den Abend nie vergessen. Er beginnt wie immer mit Gläserklang, mit Frauenlachen, mit dem verwirrenden Durcheinander gewagter, kesser Parfüms, mit dem Nebeneinander von Frack und Uniform, mit dem Untereinander von Ausschweifung und Phrase.
Die Paudler sitzt auf einem Stuhl. Hanussen fährt ihr mit seinen Händen langsam die Schläfen entlang. Sie verfällt in Trance. Das ist echt. Die blonde Schauspielerin arbeitet keineswegs bewußt mit Hanussen zusammen. Und es ist das erstemal, daß sie mit ihm und für ihn im privaten Kreise auftritt.
Der Magier läßt ein paar Minuten verstreichen. Das Zimmer ist nur knapp erhellt. Alles sitzt in bunter Reihe. Die Spannung ist nicht übertrieben groß. Sie alle, die SA-Führer, die Reporter, die Bewunderer und die Nutznießer Hanussens, haben Darbietungen dieser Art schon
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