Der Protektor von Calderon
er etwas unternehmen konnte, hörte er Varg vor Anstrengung knurren, und dann flog er durch die Luft. Ihm blieb nur der Bruchteil einer Sekunde, um zu begreifen, dass er auf einmal die fünfzehn Fuß hohe Kante der Mauer vor sich hatte, und er schaffte es gerade noch, sich mit einem Arm festzuhaken, um nicht wieder hinunterzufallen. Die scharfen Steine auf der Mauer schnitten ihm an einem Dutzend Stellen ins Fleisch. Gleichzeitig wandte ihm eine der Wächtereulen den steinernen Kopf zu und stieß einen ohrenbetäubenden Schrei aus, der sicherlich für ordentliche Kopfschmerzen sorgen würde.
Vorausgesetzt, ihm bliebe noch genug Zeit, diese zu erleben.
Er ließ die Schwerter fallen, damit er sich besser an der Mauer festhalten konnte - jedenfalls wollte er es. Zu seiner Überraschung lösten sich seine gefühllosen Hände nicht von den Griffen, sosehr er sich auch bemühte.
Er biss die Zähne zusammen und suchte durch den Stein der Mauer nach der Erde unten, um seine Kraft zu steigern und sich über die Mauer zu hieven, doch damit konnte er die Schmerzen nicht mehr unterdrücken, und schlagartig spürte er an einem Dutzend Stellen tiefe Wunden wie kleine Wasserstrahlen, die durch einen löchrigen Damm sprudeln.
Tavi gab es auf, Kraft aus der Erde zu ziehen, und stieß die Waffe in seiner rechten Hand quer zur Erde mit einem harten Stich gute sechs Zoll in den Stein. Dann zog er ächzend sein rechtes Bein hoch und stellte den Stiefel auf die flache Seite der Klinge. Er benutzte das Schwert als Hebel, verdrehte die Schultern und löste seine rechte Hand von der gefrorenen Klinge. Die Haut riss auf. Er blutete, war jedoch von der Waffe befreit und konnte sich hochdrücken, über die Mauer wälzen und auf der anderen
Seite hinunterfallen lassen. Am Bein erlitt er weitere Schnitte, die Rüstung schützte jedoch Brust und Rücken vor Verletzungen.
Der Sturz aus fünfzehn Fuß Höhe war übel, er krachte auf den Boden und konnte nicht mehr atmen. Der Schmerz schoss ihm durch den Hals in den Rücken.
Vargs zottelige Gestalt erschien auf der Mauer, und er knurrte, als auch er sich seine Verletzungen auf der scharfen Kante holte. Mit einer Pfotenhand packte er die Mauerkante, ließ sich herunter und nahm das letzte Stück ohne Probleme mit einem Sprung.
Die ganze Zeit über hörte die dumme Eule nicht auf zu schreien. Erschöpft kam Tavi auf die Beine. Sein Körper bewegte sich nicht mehr wie sonst, und obwohl er nicht genau sagen konnte, warum, vermutete er die Ursache im Sturz. Nach dem ersten Schmerz erlangte seine stählerne Entschlossenheit wieder die Oberhand, und der Schmerz verschwand. Trotzdem war es kein gutes Zeichen, dass er sich nicht mehr richtig bewegen konnte.
Varg taumelte, duckte sich und musste sich mit einer Hand abstützen. Tavi beobachtete, wie das Blut des Cane auf die Pflastersteine der Straße tropfte.
Irgendwo schrien Männer. Sie hatten sich aus dem Turm befreit und würden nun auf die Straße kommen.
»Und jetzt?«, knurrte Varg keuchend.
»Hier entlang«, sagte Tavi und wandte sich vom Tor des Turms ab. Er wollte loslaufen, aber seine Muskeln versagten ihm den Dienst. Bestenfalls brachte er ein schnelles Humpeln zustande, was vielleicht auch genügen würde. Varg schien ebenfalls in einem entsetzlichen Zustand zu sein. Sie waren noch nicht weit gekommen, als sie einen Ruf hinter sich hörten.
Tavi drehte sich um und sah dreißig oder vierzig Wachen, die meisten von ihnen inzwischen in Rüstung. Sie kamen um die Ecke und rannten auf ihn und Varg zu.
Hufschlag hallte aus der Querstraße herüber, und ein Wagen, der von vier Pferden gezogen wurde, bog um die Ecke und fuhr
dabei ein Stück lang auf nur zwei Rädern. Ehren hielt die Zügel, und Kitai saß neben ihm auf dem Bock.
»Dort!«, sagte Tavi und zeigte auf den Wagen. »Los!«
Eilig humpelte er auf seine Freunde zu, und Ehren wartete bis zum letzten Moment, ehe er das Gespann zum Halten brachte. Die Pferde bäumten sich auf und schlugen aus, als sie Varg witterten. Tavi führte den Cane um sie herum und entdeckte seine Mutter und Araris auf der Ladefläche. Isana war blass und hatte ein blutiges Stück Stoff um den Oberarm gewickelt, aber ihre Augen waren offen, und sie war bei Bewusstsein. Mit einem Blick erfasste sie die blutenden Wunden an seinen Beinen und Armen und riss die Augen auf. »Tavi!«
»Einsteigen!«, schrie Tavi Varg zu.
Die Rufe und Stiefeltritte der Grauen Wache kamen näher.
»Schnell!«, drängte
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