Der Protektor von Calderon
beschlossen, von ihnen kein Essen anzunehmen.«
Tavi riss die Augen auf, als er daran dachte, was Kitai ihm über die schweren Wunden und seine langwierige Heilung erzählt hatte. »Du musst halb verhungert sein.«
»Nicht zum ersten Mal.«
Tavi wandte sich Varg zu und legte den Rest des Schiffszwiebacks auf die Reling neben die Pfote des Cane. »Nimm das«, sagte er. »Ich werde dir etwas Herzhafteres holen.«
Varg steckte sich den Zwieback zwischen die Kiefer. Die Zähne des Cane zerkauten das harte Gebäck, als wäre es frisches Brot. Er zuckte angeekelt mit den Ohren und pulte mit der Zunge die Krümel aus den Zähnen heraus. »Aleraner sind doch zäher, als ich dachte.« Er legte den Kopf schief und betrachtete Tavi. »Die Wehrhöferin Isana«, knurrte er. »Wenn es nicht unschicklich ist, würde ich dich bitten, ihr meinen Respekt für ihre Fähigkeiten auszudrücken.«
»Warum sollte das unschicklich sein?«, fragte Tavi.
Varg stocherte noch ein Stück Zwieback mit der Kralle aus den Zähnen. »Dein Volk hat seltsame Sitten, was Paarung und Nachwuchs angeht. Ein Männchen kann sich gepaart haben und trotzdem anderen Weibchen nachstellen. Ein Weibchen kann sich gepaart haben und trotzdem die Welpen eines anderen Männchens zur Welt bringen, dabei aber vorgeben, es sei der Nachwuchs ihres eigentlichen Männchens, und dieses nimmt die Kinder als eigene an. Ein Mann und eine Frau können heiraten und Kinder zeugen, aber wenn es unschicklich geschieht, wird die Schande den Kindern angelastet.«
»Schande?«
»Unehelichkeit, so wird es wohl genannt«, sagte Varg. »Ein Bastard. Und du, ein Kind des Hauses Gaius, bist behandelt worden wie ein Ausgestoßener. Wie ein Diener. Ich weiß nicht, ob deiner Mutter Schande widerfahren ist oder ob es unangemessen wäre, ihr Respekt auszusprechen. Der Wert solcher Dinge ergibt für mich keinen Sinn.«
»Es ist … schwierig«, räumte Tavi ein. »Selbst für einen Aleraner. Aber es ist nicht aufdringlich, sich bei ihr für die Hilfe zu bedanken.«
Varg fletschte die Zähne und knurrte. »Ich will mich nicht bedanken. Dein Volk braucht mich lebendig und gesund. Somit war es keine Mildtätigkeit.«
»Wohl wahr«, sagte Tavi. »Ich werde mich ein wenig im Vagen halten. Es wäre nicht unangemessen, wenn du ihr deinen Respekt für ihre Fähigkeiten ausdrückst.«
Varg kniff nachdenklich die Augen zusammen. »Bei meinem Volk übernimmt der Anführer eines Rudels solche Angelegenheiten.«
Tavi wandte sich Varg zu, die Hand auf seinem Schwert. »Dann werde ich es so handhaben.«
Wieder knurrte der Cane aus tiefer Brust und zuckte zustimmend mit den Ohren, ehe er sich wieder dem Meer zudrehte. »Das ist gut.«
Tavi wandte sich ebenfalls wieder nach vorn. »Brauchst du noch etwas?«
Varg knurrte und ballte die Pfoten zur Faust. »Ich müsste einiges wissen.«
Tavi dachte nach. »Ich werde dir sagen, was ich dir sagen kann.«
»Ich muss bestimmte Dinge wissen«, beharrte Varg.
»Wenn es sich andersherum verhielte und ich der Gefangene in deinem Land wäre, würdest du mir alles frei mitteilen?«
»Wenn es sich andersherum verhielte, Aleraner, wäre dein Blut längst vergossen.« Er trommelte mit den Krallen auf die Reling. »Und nein, ich würde dir nichts verraten.« Er nickte.
»Sag mir alles über mein Volk in deinem Land, was dir möglich ist.«
Tavi gab ihm einen groben Überblick über die Ereignisse der beiden letzten Jahre, verriet jedoch nichts darüber, wo die aleranischen Truppen standen, wie stark sie waren, wie sie versorgt wurden oder wo sie besonders verwundbar waren.
Anschließend öffnete Varg die Schnauze und ließ die Zunge ein oder zwei Sekunden heraushängen. »Sarl ist durch deine Hand gestorben?«
Tavi grinste hinaus aufs Meer. »Es wäre vielleicht nicht geschehen, wenn Nasaug ihn nicht in diese Lage gebracht hätte.«
»Aber du hast es kommen sehen«, sagte Varg, »und es zu deinem Vorteil ausgenutzt.«
»Ja.«
»Und Sarl ist von deiner Hand gestorben.«
»Ja.«
»Dann hat Nasaug gut daran getan, dich Gadara zu nennen«, knurrte Varg.
»Ich habe da eine Theorie«, sagte Tavi.
Varg drehte ein Ohr in seine Richtung.
»Die Canim-Flotte ist aus Verzweiflung in unser Land gekommen«, sagte Tavi. »Sarl hat die Schiffe hinter ihnen verbrannt. Es ist zu schweren inneren Streitigkeiten gekommen. Viele Ritualisten waren bei der Flotte, und sie hatten offensichtlich sehr großen Einfluss.« Tavi runzelte die Stirn. »Und sogar Zivilisten
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