Der Protektor von Calderon
Katastrophen ausgemalt, die sich ereignen könnten, doch bislang war nichts passiert. Irgendetwas musste doch aber schiefgehen. Irgendetwas ging immer schief. Trotzdem lief es bislang hervorragend, und das machte sie nervös.
Ein frischer Wind wehte ihnen entgegen, saubere Luft, die nach Kiefern roch, und am liebsten hätte Amara gejuchzt.
Dann ertönten hinter ihnen die Jagdhörner.
Bernard und Amara fuhren herum und schauten zum Sumpf zurück, und Bernard fluchte. »Eine ihrer Streifen muss unsere Spur entdeckt haben. Bald werden sie hier sein.«
Amara war beinahe erleichtert, weil sich das Schicksal endlich gegen sie gewandt hatte. Natürlich wurden sie jetzt von einem Haufen Wahnsinniger gehetzt, die vorhatten, sie umzubringen, aber wenigstens war das eine vertraute Situation.
»Gut. Was können wir tun?«
»Wenig«, sagte Gaius und hustete.
»Ich kann nicht unsere Spur verwischen und gleichzeitig die Trage schleppen«, sagte Bernard. »Wir sollten in die Berge fliehen. Es wird bald dunkel. Wenn wir bis zum Einbruch der Nacht durchhalten, sollte uns das genug Zeit verschaffen.«
Amara nickte. »Na, dann los.«
Sie wandte sich nach vorn, lief den Hügel hinauf und verzichtete von nun an auf den windgewirkten Schleier. Der Feind wusste längst, dass sie hier waren. Der Schleier würde ihr lediglich die Kräfte rauben, die sie jetzt besser aufs Laufen verwendete. Bernard hielt Schritt mit ihr, obwohl er Gaius trug, allerdings keuchte er dabei heftig.
Das Gelände stieg unablässig an, die Weiden und Farne des
Sumpfes wurden von Fichten und Kiefern abgelöst. Die Jagdhörner waren weiterhin zu hören, und Amara hatte den Eindruck, sie würden sich ihnen nähern.
Sie war nie eine sonderlich gute Läuferin gewesen, doch in den Wochen der Reise hatte sie sich daran gewöhnt, und mit ein wenig Hilfe von Cirrus ging ihr auch nie die Puste aus. Und so begannen ihre Muskeln auch innerhalb der ersten Stunde kaum zu brennen, und sie konnte das Tempo durchhalten. Der Knöchel, den sie sich beim Kampf mit dem Garim verletzt hatte, schmerzte manchmal, und sie setzte den Fuß vorsichtig auf; aber offensichtlich hatte die Zeit im Sumpf genügt, um die Verletzung auszuheilen.
Bernard stapfte hinter ihr her und ließ trotz seiner Last nicht nach. Auch wenn er schon heftig schnaufte, wurde er nicht langsamer.
Amara fand einen Pfad, der hinauf in die Berge führte, und dem folgte sie. Ihr Schatten am Hang wurde immer länger, während die Sonne hinter ihnen sank. Sie lief noch eine halbe Stunde weiter, und nun spürte sie, wie Arme und Beine vor Erschöpfung zu zittern begannen.
Da hörte sie plötzlich nicht nur hinter, sondern auch vor ihnen die Hörner. Amara wurde langsamer und sah über die Schulter Bernard an.
»Na«, keuchte Bernard. »Das hat aber lange gedauert.« Er blieb stehen, atmete heftig, und Amara wünschte sich, sie könnte ihm Cirrus schicken, damit er schnell wieder zu Atem käme. Aber ohne seine Atmung zu fühlen wie bei sich selbst, würde sie ihn dabei nur verletzen.
Bernard schaute sich um, runzelte die Stirn und setzte die Trage auf dem Boden ab. Er starrte den Hang zu den Bergen hinauf, die golden in der untergehenden Sonne leuchteten. »Sie sind schnell, vermutlich beritten. Uns bleiben nur ein paar Minuten.« Er nahm seinen Bogen von der Trage. »Entschuldigung, Majestät.«
»Beritten«, murmelte Amara. Sie schaute nach Gaius, während
Bernard die Sehne an seinem Bogen aufspannte. Der Erste Fürst war vor Schmerzen blass geworden. Er lächelte Amara schwach an und sagte: »Ich habe vermutlich kaum das Recht, mich zu beschweren, aber ich finde, für heute bin ich genug gerannt.«
»Ruh dich aus«, sagte Amara. Sie zog die Trage zur Seite, so sanft sie konnte, bis sie im Schutz einiger Kiefern stand. Dann ging sie zu ihrem Gemahl. »Ich muss etwas wissen.«
»Ja«, sagte Bernard. »Ich habe es ernst gemeint, als ich meinte, ich hätte das nie mit einer anderen Frau als dir gemacht.«
Sie klopfte ihm sanft auf die Schulter. »Du solltest dich nicht ablenken lassen, Graf Calderon. Tiere kannst du doch beruhigen. Könntest du sie auch in Aufruhr versetzen?«
Er verzog das Gesicht. »Ihnen die Pferde scheu machen? So was hasse ich. Pferde sind große, starke Tiere. Wenn man sie erschreckt, können sie sich schwer verletzen.«
»Die kommen, um uns zu töten«, wandte Amara ein.
»Die Reiter. Die Pferde haben vermutlich wenig gegen uns.«
Amara hielt inne, starrte ihn kurz an und lächelte
Weitere Kostenlose Bücher