Der Protektor von Calderon
ihr ins Gesicht - verkrustet mit Schlamm und Blut und dem Schmutz ihrer Sumpfreise. Es roch nach verfaultem Gemüse.
Unterhalb ihres Haares baumelten ihre Arme schlaff herab. Ihre rechte Hand war vom Handgelenk bis zu den Fingerspitzen angeschwollen wie eine Sammlung von Würsten, die jemand zu einer plumpen Puppe zusammengebunden hat. Die Haut war tiefdunkelrot und erschien wie eine einzige Quetschung, welche die ganze Hand überdeckte. Angesichts des Schlamms und Bluts und irgendwelcher Flecken einer grauen, wackeligen Masse, die daran klebte, war es schwer, sicher zu sein.
Sicher war sie jedoch, dass es eigentlich schmerzen sollte. Was es aber nicht tat. Sie versuchte die purpurroten Finger zu bewegen, doch das gelang ihr nicht. Bestimmt war das kein ermutigendes Zeichen, doch konnte sie sich einfach nicht erinnern, warum.
Unter den Fingerspitzen sah sie steinigen Boden, der vorbeizog. In gleichmäßigem Rhythmus bohrte sich ihr etwas in den Bauch. Bernard, dachte sie. Seine Schulter. Sie lag über Bernards Schulter. Ja, jetzt sah sie seine vom Sumpf ruinierten Stiefel.
»Beeilung«, fauchte der Erste Fürst. Er klang wiedererstarkt und zuversichtlich. Das war gut. Amara hatte es fast nicht mehr ertragen, den stets so schwungvollen Gaius als fieberkrankes Wrack auf der Trage liegen zu sehen. Er musste sich selbst durch Wasserwirken gesund gemacht haben, während Brencis sich mit ihr und Bernard beschäftigt hatte.
Eigentlich jedoch wusste sie nicht, ob der Erste Fürst sich mit seinen Kräften so schnell selbst heilen konnte. Sie verspürte ein vages Gefühl der Sorge, dass der alte Mann seinen wahren Zustand einfach nur verheimlichte und die Schmerzen mit Metallwirken ausblendete, als wäre nichts geschehen. Wenn er tatsächlich gewissermaßen von geliehener Zeit lebte, befand er sich in großer Gefahr - und ihre Sorge um den Fürsten brachte Amara dazu, den Kopf zu bewegen und die müden Glieder zu schütteln, damit jemand auf sie aufmerksam wurde.
»Sie wacht auf«, sagte Bernard.
»Wir sind fast da«, erwiderte Gaius. »Wenn wir über die Kuppe sind, können wir den Berg sehen, den Kalarus vorbereitet hat, und …« Dem Ersten Fürsten stockte der Atem. »Ritter Aeris im Anflug, Graf. Und zwar einige. Wir haben nur sehr wenig Zeit. Ich denke, es würde mir nichts ausmachen, wenn du ein paar deiner Salzpfeile bereithältst.«
Dann hörte man Schlurfen und Kratzen von Stiefeln, die über Stein scharrten. Amara gab ihre Bemühungen, sich zu bewegen, auf, und ließ sich für eine Weile wieder in den Dunst sinken. Sie war nicht sicher, wie lange es dauern würde, bis sich die Lage änderte, aber es erschien ihr viel Zeit zu vergehen, bis Bernard langsamer wurde und sie vorsichtig auf dem Boden ablegte.
Er ging schwer atmend auf ein Knie und verzog das Gesicht vor Schmerz. Nun zog er die Pfeile aus dem Köcher und steckte ihre Spitzen in die Erde. Dann murmelte er etwas und legte die Hand auf den Boden.
»Bernard«, sagte Amara. Sie bekam kaum einen Ton heraus, aber ihr Gemahl drehte sich sofort zu ihr um.
»Liebste«, sagte er leise. »Bleib ruhig liegen. Du bist schwer verwundet.«
»Ich bin müde«, erwiderte sie. »Aber es tut gar nicht weh.«
»Majestät«, sagte Bernard mit harter Stimme. »Sie ist wach. Sie zittert. Ich fürchte, sie hat einen Schock.«
Amara sah zur Seite, wo der Erste Fürst stand und nach unten
schaute, und nun fiel ihr auf, dass sie auf der Kuppe des Bergs waren und hinunter in die riesige Talmulde blicken konnten.
Dort, in mehreren Meilen Entfernung, blinkten die Lichter von Kalare. In der Dunkelheit wirkte die Stadt wie ein leuchtender Smaragd. Kleinere Ketten anderer Lichter zeigten mehrere Städtchen in der Umgebung der Hauptstadt, und einzelne Punkte verrieten die Stellen, wo sich Wehrhöfe befanden. Der Mond schien auf die überfluteten Felder, auf denen Gerstenreis wuchs, und verwandelte die Wasserflächen in riesige Spiegel.
Amara war schon in Kalare gewesen. Es war eine hässliche, heruntergekommene Stadt, die wenig Schönes zu bieten hatte, und dort fand man nur eins häufiger als Sklaverei vor: Elend. Nach zwei Jahren Krieg und wirtschaftlicher Abgeschiedenheit vom Reich dürfte es dort noch schlimmer, schmutziger, ärmer, grausamer aussehen, und wahrscheinlich waren üble Krankheiten dazugekommen. Aber von hier oben aus dem Gebirge, aus dieser Ferne, waren nur die grünlichen Elementarlampen der Stadt zu sehen, und so boten Kalare und seine Schar von
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