Der Protektor von Calderon
sicher, was mich mehr erstaunt«, antwortete er. »Wenn ein Legionshauptmann sie ›Volk‹ und nicht ›Tiere‹ nennt, oder wenn er sich zu der gleichen Gruppe zählt wie eine Horde Sklaven, die zu den Waffen gegriffen hat.«
»Du gehst, sprichst, atmest, isst, schläfst. Genau wie ich.«
Durias schnaubte. »Seit wann ist das ein Grund, jemanden als Gleichen zu betrachten?«
Tavi zeigte Durias die Zähne, eher in Canim-Mimik als in aleranischer. »Du trägst eine Rüstung und ein Schwert - und ich befinde mich in eurem Lager.«
»Ha«, schnaubte Durias und schüttelte erneut den Kopf. »Und wenn du nun nur so daherredest? Reden ist leicht.«
Tavi musste grinsen. »Im Frühjahr habe ich dich nicht bewusstlos ›geredet‹, oder, Zenturio?«
Durias rieb sich das Kinn. »Nein. Bestimmt nicht.«
»Du bist schon fast zwei Jahre bei Nasaug, wenn ich recht verstanden habe?«
Durias nickte. »Ich … Er hat gesagt, die Idee für das Freie Alera habe er von mir.«
Tavi zog die Augenbrauen hoch. »Du bist der Erste Speer eurer Legion.«
»Es ist nicht schwierig, Erster Speer zu werden, Hauptmann. Man muss einfach länger gedient haben als die anderen. Ich war der erste Rekrut.«
»Ich wette, das ist eine gute Geschichte.«
Durias zuckte mit den breiten Schultern.
»Aber du bist kein Hauptmann«, stellte Tavi fest.
Durias grinste kurz und deutete auf sein Kinn. »Ich glaube, dafür fehlt mir die Erfahrung im Faustkampf.«
Tavi lachte.
Durias führte sie am Lazarettbereich vorbei und deutete auf
einen geflickten alten Legionspavillon, der mit offensichtlich gebrauchten Segeln zu einem Zelt umgebaut worden war. »Dein Mann ist da drin.«
Tavi trat vor, und ihm fiel auf, dass Durias genau im »Schatten« seines Körpers stand, dort, wo es für Tavi am schwierigsten wäre, sich umzudrehen und ihn mit dem Schwert zu erschlagen. Ein weiterer Blick über die Schulter zeigte ihm außerdem, dass Durias die Hand auf seinen Gladius gelegt hatte. Er zog eine Augenbraue hoch und sah den kantigen jungen Mann an. »Was machst du denn, Zenturio?«
»Ich beuge Missverständnissen vor«, erwiderte Durias. »Befehle, Hauptmann.«
Wortlos drehte sich Tavi vollständig zu ihm herum und bot ihm sein Schwert an, Heft voraus.
Durias schüttelte den Kopf. »Das bedeutet hier mehr als in deinem Alera, Hauptmann. Behalte es. Vergiss nur nicht, dass ich ebenfalls eins habe.«
Tavi betrachtete den jungen Mann einen Moment lang und erkannte, dass er mit geradem Rücken und leicht gegrätschten Beinen dastand. Er hatte die Hand auf dem Schwert liegen, doch sein Gewicht ruhte auf den Fersen. Eine arrogante Haltung nach aleranischen Maßstäben, die fast einer Herausforderung zum Kampf gleichkam - doch Tavi erkannte darin sofort die Haltung eines Cane, der Vorsicht und Respekt zum Ausdruck bringen wollte.
»Das mache ich«, antwortete Tavi. Er betrat das Zelt. Ehren lag mit blutigem Hals in einer Wanne, und eine Erzfeindin kniete mit roter Klinge in der Hand neben ihm.
Sofort griff Tavi nach seinem Schwert, beherrschte dann jedoch den Reflex, den Stahl zu ziehen, und einen Augenblick später spürte er eine schwache Luftveränderung hinter sich: Auch Durias hatte sein Schwert ein Stück aus der Scheide gezogen.
Antillus Dorotea, Hohe Fürstin Antillus, war die letzte Überlebende aus der Familie des Hohen Fürsten Kalarus und die Frau,
von der die Erste Aleranische an die Canim verraten worden war. Sie blickte zu Tavi auf, als er das Zelt betrat.
Tavi spürte ihre Emotionen - zunächst aufflackernde, heiße Wut, dann ein Schwall Angst, der den Zorn vertrieb. Sie schloss kurz die Augen, presste die Lippen zusammen, und er spürte, wie die Frau Wut und Angst unterdrückte und ihre Aufmerksamkeit wieder Ehren zuwandte, der nackt, mit geschlossenen Augen und nahezu bewusstlos in einer Heilwanne lag.
Nun legte sie das Messer und den Federkiel, den Varg eingesetzt hatte und den sie mit der Klinge aus dem angeschwollenen Fleisch geschnitten hatte, zur Seite. Fürstin Antillus drückte Ehren sanft tiefer ins Wasser, bis sein Hals vom Wasser bedeckt war, und senkte den Kopf.
Eine Emotion - nicht Zufriedenheit oder Wohlgefühl, aber eine Mischung aus beidem, die man dennoch nicht als Genugtuung bezeichnen konnte, ging plötzlich von ihr aus, als sich die Wunde schloss und die Schwellung an Ehrens Hals zurückging. Tavis Freund holte tief und pfeifend Luft.
Tavi starrte die Hohe Fürstin stirnrunzelnd an und achtete zum ersten Mal auf ihre
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