Der Protektor von Calderon
bitte Tribunin Cymnea in mein Schreibzimmer, damit wir die Vorbereitungen besprechen können. Und sag den Männern Bescheid.« Er blickte rechts und links in den Gang und runzelte die Stirn. »Hm. Ich hätte Marcus hier erwartet. Hast du ihn gesehen?«
»Heute noch nicht.«
»Wenn du ihn siehst«, sagte Tavi, »schick ihn in mein Schreibzimmer.«
»Ja, Hauptmann.«
Tavi ging zur Tafel und wischte sie mit einem feuchten Tuch ab, bis die Zeichnung verschwunden war. Es war schludrig von Arnos, seinen Marschbefehl - soweit man es einen solchen nennen konnte - für jeden Idioten, der zufällig vorbeikam, sichtbar zu hinterlassen. »Also gut, Tribun.« Er seufzte. »An die Arbeit.«
7
Marcus schaute sich in der schäbigen Zeltschenke um, einer von vielen, die im Flüchtlingslager aus dem Boden geschossen waren. In dieser hier war er noch nie gewesen, doch hatte er in seinem Leben schon viele ähnliche gesehen. Nun ja, zugegebenermaßen waren nur wenige so verdreckt gewesen. Die Zeltleinwand war schlampig mit Teer überstrichen und nicht ordentlich geflickt. Der Boden, den man wenigstens fegen und mit Binsen hätte bestreuen können, war reiner Schlamm. Die Beine des einfachen Tischs waren sechs Zoll tief darin versunken, und ihre Flächen wären zu niedrig gewesen, wenn die Bänke davor nicht ebenfalls eingesunken wären.
Marcus starrte in den Krug vor sich. In dem Bier schwammen seltsame Flocken - vermutlich Getreide aus den Gärbottichen, aber sicher war das nicht. Das Gebräu roch nicht so, wie Bier riechen sollte. Es roch eher wie schmutziges Wasser, nur nicht so angenehm. Er hatte einen Silberbullen dafür gegeben, und die Kupferböcke, die er zurückbekam, waren so abgegriffen, dass er kaum die Hörner auf der geprägten Seite erkennen konnte.
In gewisser Hinsicht war es faszinierend. Das Flüchtlingslager bot den Menschen alle Härten, die sie auf dieser Welt erwarten durften. Doch bei manchen löste es eine menschliche Größe aus, die alles übertraf, was man erwartete. Fidelias hatte Männer gesehen, die eigentlich nichts mehr besaßen, und sich doch den Mantel vom Leib rissen, um ihn frierenden Kindern zu schenken. Er hatte Familien gesehen, die kaum genug zu essen hatten, um selbst zu überleben, und die dennoch verwaiste Kinder aufnahmen und eine Möglichkeit fanden, wie eine Decke noch für ein weiteres Kind reichte. Er hatte Legionares gesehen, die ihren Sold
auf den Markt trugen, dort Essen kauften und es im Lager an jene verteilten, die es am dringendsten benötigten.
Bei anderen hingegen kam die schlimmste Seite zum Vorschein. Er hatte Gruppen geführt, die Tote begraben mussten, welche man wegen verschlissener Mäntel und Lumpen um die Füße umgebracht hatte. Er hatte Männer gesehen, die anstelle von Geld andere Dinge von Frauen verlangten, hatte Männer gesehen, die erst mit dem herausrückten, was andere so dringend brauchten, nachdem sie die Betreffenden gedemütigt und durch den Schmutz gezogen hatten. Er hatte Prellungen und gebrochene Knochen gesehen, das Resultat von Angst und Streitlust. Krankheiten, die durch Kälte und Nahrungsmangel ausgelöst wurden, selbst hier in den mildesten Gefilden des Reiches. Und all dies, all diese traurigen, bedauernswerten, verabscheuungswürdigen Menschen versammelten sich irgendwie und wurden zu einem beinahe sichtbaren Nebel, einem Gestank in der Luft, der roch wie …
Nun ja. Der roch wie das Bier.
Marcus schob den Holzkrug ein Stück von sich fort und bemühte sich, den Geruch nicht zu beachten. Dann holte er die kleine Elementarlampe aus seiner Tasche, brachte sie zum Brennen, stellte sie auf den groben Tisch und wartete.
Die Waschfrau betrat die namenlose Schenke, blieb in der Tür stehen und schaute sich um. Im Inneren war es so dämmerig, dass seine kleine Lampe ihren Blick auf sich ziehen musste. Sie überquerte den rauen Boden und setzte sich zu ihm an den Tisch.
»Guten Tag«, sagte die verkleidete Fürstin Aquitania. Naserümpfend blickte sie sich um. »Ich wusste ja schon immer, dass du ein heimlicher Romantiker bist.«
Marcus schob ihr den Krug zu. »Durst?«
Sie betrachtete das Bier, wurde eine Spur blasser und sah ihn an.
»Pass dich an«, sagte er.
»Warum hier?«, fragte sie ihn.
»Hier erkennt mich niemand.«
»Ich hätte dich beinahe auch nicht erkannt.«
Marcus zuckte mit den Schultern. »Keine Rüstung. Anderer Mantel. Die Kapuze hochgezogen. Ich sehe aus wie alle anderen.«
»Wir hätten uns auch woanders treffen
Weitere Kostenlose Bücher