Der Protektor von Calderon
Männer und Frauen und Kinder saßen ruhig da, und niemand sprach. Dann und wann bellte ein Hund, oder ein Säugling schrie, gelegentlich schlug auch der Frühlingswind eine offen stehende Tür zu. Sie waren noch fünfzig Schritt entfernt, doch selbst Tavi mit seinen begrenzten Wasserkräften spürte die leise, beißende Angst. Es war ein heimtückisches Gefühl, denn anders als seine persönliche Angst konnte er diese Emotion nicht in sich selbst einkapseln. Sie schien ihn völlig zu durchdringen, seine Glieder, sein Haar, sogar seine Haut, überall fühlte er diese von ihm losgelöste Furcht.
Er wandte sich von ihnen ab, schloss die Augen und legte die Hand auf den Schwertgriff. Aus der Waffe zog er eine kalte, stille Kraft, die ihn stärkte und gegen die Angst der Stadtbewohner wappnete. Sofort verschwanden deren Emotionen, und so erlangte er die Selbstbeherrschung wieder und ritt weiter.
Sie erreichten ein großes weißes Haus. Legionares waren vor dem Vorgarten abgestellt, und Tavi sah einen der Singulares des Senators, diese dunkelhaarige kleine Frau mit Bogen.
Als sie abstiegen, trat einer der Burschen der Ersten Senatsgarde aus dem Haus und eilte herbei, um ihnen die Zügel abzunehmen. »Guten Tag, Hauptmann Scipio.«
»Guten Tag …« Tavi durchforstete rasch sein Gedächtnis. »Tharis, nicht wahr?«
Der Bursche schenkte ihm ein Lächeln und neigte den Kopf. »Richtig, Hauptmann. Der Senator erwartet dich. Hinter dem Eingang links findest du sein Zimmer.«
»Danke, Tharis«, sagte Tavi.
Er sah Araris an, der nickte. Tavi strich seinen Mantel glatt und ging forschen Schritts auf den Eingang zu. Araris folgte ihm in kurzem Abstand. Er hatte die Augen zusammengekniffen und passte gut auf.
In der Eingangshalle hielten weitere Legionares Wache, und auch die übrigen Singulares von Arnos - ein Haufen, der einen üblen Eindruck machte, obwohl keiner von ihnen Phrygiar Navaris übertreffen konnte, was das anging. Als diese Tavi und Araris bemerkte, erhob sie sich, schlank und tödlich in ihrer schwarzen Kleidung, und trat ihnen entgegen.
»Guten Tag, Hauptmann«, sagte sie höflich. Nein, dachte Tavi, nicht höflich. Ihr Tonfall hörte sich an, als habe sie eine Sprache dem Klang nach gelernt und wisse nicht, was die Worte bedeuten sollten. Es war nur eine Nachahmung von Höflichkeit, mehr nicht. »Wenn dein Singulare hier bitte warten würde, der Senator erwartet dich.«
»Hauptmann«, sagte Araris leise. Das kam schon fast einem Protest nahe.
»Ich bin sicher, der Senator wird sich nicht daran stören, wenn du vor der Tür wartest«, sagte Tavi.
Navaris blickte sie mit zusammengekniffenen Augen an. »Es wäre doch sowieso gleichgültig, wo er steht, wenn es hart auf hart kommt.«
Araris zögerte und wandte sich der Stecherin zu. Sie starrte ihn unverwandt an.
»Vermutlich hast du recht«, sagte Tavi. »Schließlich seid ihr zu fünft, und er ist allein. Das nenne ich einen ungleichen Kampf.« Er nahm seinen Mantel ab und warf ihn Navaris vor die Brust, als wäre sie bloß ein Diener. »Warum holst du nicht lieber noch fünf oder sechs Mann. Dann wären die Chancen ungefähr ausgeglichen.«
Die Frau fing den Mantel aus einem Reflex heraus auf, und ihre flachen, irgendwie reptilienartigen Augen funkelten seltsam. Tavi beachtete sie nicht länger und ging an ihr vorbei zu der
betreffenden Tür. Araris folgte ihm, warf einen Blick in das Zimmer und stellte sich dann davor auf.
Arnos saß am Schreibtisch und las das oberste Papier von einem ganzen Stapel. »Hauptmann, immer nur herein.«
Tavi trat vor Arnos’ Schreibtisch und salutierte. »Melde mich wie befohlen, Senator.«
Arnos antwortete nicht. Er las die Seite zu Ende, drehte sie um und sah erst dann auf. Er starrte Tavi einen Moment lang an und lud ihn eindeutig nicht ein, sich zu setzen. Nach längerem Schweigen sagte Arnos: »Ich habe dir den Befehl erteilt, dich zurückzuhalten, Hauptmann. Du warst die Reserve.«
»Ja, Herr«, sagte Tavi. »Leider fehlte die Zeit, sich abzustimmen, während die Garde kämpfte. Die vorderen Einheiten der Garde brauchten Unterstützung, und die habe ich so gut wie möglich geliefert.«
Arnos lächelte ihn frostig an. »Um auf diese Anhöhen zu gelangen, muss man fast drei Meilen nach Osten und eine halbe nach Westen reiten, ehe man einen vernünftigen Aufstieg findet. Demnach musste deine Einheit die doppelte Entfernung hinter sich bringen, um die Canim-Stellungen oben zu erreichen. Was bedeutet, dass du
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