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Der Protektor von Calderon

Der Protektor von Calderon

Titel: Der Protektor von Calderon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jim Butcher
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die Reue und die Besorgnis seiner Mutter gespürt, so deutlich wie seine eigene. Nie zuvor hatte er die Gefühle eines anderen Menschen so klar empfunden, nicht einmal Kitais. Er fragte sich, warum seine Sinne so viel schärfer wurden, wenn es um Isana ging. Früher hatte er sich ihre guten Absichten nur vorgestellt, ihre Ängste, ihre Beweggründe, warum sie ihn und alle anderen all die Jahre lang belogen hatte.
    Jetzt wusste er es. Er wusste, sie hatte aus Liebe und Verzweiflung gehandelt und lediglich alle Maßnahmen ergriffen, die ihr zu seinem Schutz zur Verfügung standen. Er wusste, wie innig sie Septimus geliebt und wie hart sie sein Tod getroffen hatte. Er wusste, wie sehr sie ihn, Tavi, liebte. Als sie schließlich darüber gesprochen hatte, erzählte sie ihm nicht nur vollständig und offen die Wahrheit, sondern gab auch einen Blick in ihr Herz und ihre Seele preis. Er wusste es. Für Zweifel blieb da kein Raum.
    Sie würde sich niemals für das entschuldigen, was sie getan hatte. Ihre Worte waren die Bitte um Verzeihung für das Leid, das ihm zuteilgeworden war über all die Jahre, das Bedauern über die Dinge, zu denen sie gezwungen war; aber sie würde sich nicht dafür entschuldigen. Tavi erkannte das jetzt. Sie hatte so gehandelt, wie sie es für richtig und notwendig gehalten hatte. Er konnte das respektieren oder es ihr für den Rest seines Lebens vorwerfen.
    Er rieb sich den dröhnenden Kopf. Müde war er. Groll zu hegen kostete einfach zu viel Kraft - Kraft, die er für andere, dringendere Unternehmungen brauchte. Die Vergangenheit hatte über zwanzig Jahre geruht, sie konnte noch ein wenig warten. Die Zukunft dagegen gebärdete sich außerordentlich launisch. Sie konnte ebenfalls warten. Sie wartete ja immer.
    Im Hier und Jetzt standen Menschenleben auf dem Spiel.
    Tavi knirschte enttäuscht mit den Zähnen und starrte zur Tür
aus Eisenstangen. Die bildete eigentlich kein Hindernis für ihn. Vermutlich konnte er genug Kraft aufbringen, um sie mitsamt den Angeln aus der Wand zu reißen. Der Gedanke barg eine gewisse primitive Verlockung, erschien ihm andererseits übertrieben. Es würde nur einen Augenblick dauern, das Schloss zu knacken, und auf die Weise konnte er besser und vor allem leiser fliehen.
    Die Tür war kein Hindernis, sondern, und das war das Problem, das Gesetz. Tavi hätte Cyril befehlen können, ihn zu entlassen, doch dabei hätte man gegen eine Reihe von Gesetzen verstoßen, und das konnte auf lange Sicht unangenehme Nachwirkungen haben. Es war durchaus nicht garantiert, dass er allein deshalb, weil das Blut von Gaius Sextus in seinen Adern floss, tatsächlich die Macht eines Princeps erlangen würde, um Cyril vor den Folgen zu beschützen. Es war nicht einmal garantiert, dass Gaius ihn anerkennen würde - und selbst wenn, war nicht garantiert, ob das Haus Gaius weiterhin die Krone tragen würde.
    Aus diesem Grund hatte er es nicht gewagt, von Cyril zu viel zu verlangen, zu dessen Bestem. Deshalb hatte er Cyril auch nicht in seine Pläne eingeweiht und ihn außerdem nicht um irgendeine Form von Unterstützung gebeten. Wenn die Sache schiefging und Cyril später von einem Wahrheitssucher befragt würde, konnte er in aller Ehrlichkeit behaupten, Tavi nicht bei der Flucht geholfen und keine Ahnung von seinen Absichten gehabt zu haben.
    Wo bei den Krähen blieb Ehren?
    Er wartete auf die Dunkelheit, was sonst? Hier in der Zelle konnte Tavi nicht sehen, wo die Sonne stand. Er reckte sich, seufzte und versuchte zu schlafen. Viele Soldaten lernten, wie sie in jeder freien Minute sofort einschlafen konnten - doch Offizieren waren solche Momente selten vergönnt, und Tavi hatte sich den Kniff bislang nicht aneignen können. Er lag zwei Stunden da und dachte nach, während er auf den Sonnenuntergang wartete, bis er endlich langsam eindöste.
    Natürlich in genau dem Augenblick, als Ehren kam. Schritte näherten sich der Zellentür, Tavi setzte sich auf und schwang die
Füße von der Pritsche. Als er sie gerade auf den Boden setzte, klapperte die Tür und öffnete sich. Der rotblonde kleine Kursor stand darin, gekleidet in einfache, gut gearbeitete Reisekleidung, ein Bündel unter dem Arm. Das warf er Tavi zu.
    Tavi verlor keine Zeit und wechselte die Uniform gegen die unauffällige Zivilistenkleidung. »Schwierigkeiten?«
    »Bislang nicht«, sagte Ehren. Er schüttelte einen großen, schwer aussehenden Beutel, der an seinem Gürtel hing. Es klimperte. »Hätte nicht gedacht, dass Cyril so

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