Der Protektor von Calderon
und nie gekannt hatte, selbst wenn er sich dessen selbst nicht bewusst war. Aber diese Wunden konnten heilen. Sie würden sich im Laufe der Zeit schließen.
Seine Liebe würde bleiben.
Isana beugte sich herab, neigte den Kopf und legte ihre Stirn an Tavis. Er lehnte sich an sie, und seine Hände umfassten plötzlich die ihre ganz fest. Gemeinsam weinten sie - Tränen der Trauer, des Bedauerns und der Reue.
Isana flüsterte so leise, dass Cyril es nicht hören konnte: »Es tut mir so leid. Dein Vater wäre so stolz auf dich, Tavi.«
Die Schultern ihres Sohnes zuckten, und einen Moment lang stockte ihm der Atem, ehe er den Kopf neigte und sich noch stärker bei ihr anlehnte. Sie legte die Arme um ihn und zog ihn fest an sich heran. Schweigend weinte er, sein Körper zuckte einige Male. Isana hielt ihn fest und schloss die Augen.
Sie schlug sie wieder auf, als sie Cyrils Schmerz spürte. Er stand auf und zuckte zusammen, als sein Gewicht auf das verstümmelte Bein drückte, und hinkte zu ihr. Wortlos reichte er ihr den Ring und die Kette. »Danke«, flüsterte sie.
»Das solltest du gut verbergen, Fürstin«, murmelte er. »Bis der rechte Augenblick gekommen ist.« Dann ging er unter großen Schmerzen auf ein Knie nieder.
Isana berührte Tavi an der Schulter.
Er sah auf und blickte Ritter Cyril an.
Cyril neigte tief den Kopf. »Hoheit«, sagte er leise, »wie kann ich der Krone zu Diensten sein?«
21
Tavi fand, es entbehrte nicht einer gewissen Ironie, dass die Pritsche in seiner Zelle beträchtlich bequemer war als die in seinem Schlafzimmer. Gewiss, sie war in den letzten zwei Jahren, seit man die Zelle eingerichtet hatte, kaum benutzt worden. Gelegentlich hatte ein betrunkener Legionare seinen Rausch ausgeschlafen, oder ein Wüterich musste sich abkühlen, aber das kam eher selten vor. Meist hatte sich Tavi ein Beispiel an Cyril genommen und es seinen Zenturionen überlassen, die Disziplin aufrechtzuerhalten. Er hatte sich kaum eingemischt, und deshalb waren in dieser Zelle eigentlich nur Legionares gelandet, die besonderes Pech hatten oder dumm genug waren, sich ausgerechnet vor den Augen ihres Hauptmanns schlecht zu benehmen.
Natürlich war er jetzt nicht mehr ihr Hauptmann. Vermutlich würde er das auch nie wieder werden.
Das setzte ihm stärker zu, als er erwartet hätte, besonders weil er diesen Posten eigentlich ursprünglich nur aus reiner Notwendigkeit angenommen hatte. Erst seit zwei Jahren war er an der Elinarcus, doch in dieser Zeit hatte er sich sehr an diesen Ort gewöhnt. Es war keine glückliche Zeit gewesen. Zu viele Menschen waren verwundet oder getötet worden. Trotzdem war es ein wichtiger Abschnitt in seinem Leben gewesen. Manchmal hatte Freude den Kummer aufgewogen, Lachen die Tränen. Er hatte hart gearbeitet, sich Respekt verschafft und auch Blut vergossen. Er hatte Freunde gewonnen unter jenen, die an seiner Seite kämpften.
Dies war sein Zuhause geworden, doch das war jetzt vorbei.
Er lag auf seiner Pritsche und starrte an die Decke. Inzwischen vermisste er sein Zimmer im Kommandogebäude und die Betriebsamkeit des Legionslebens. Manchmal wünschte er sich auch nach Bernardhof zurück - Isanahof, berichtigte er sich. Aber das würde es auch nicht mehr sehr lange sein.
Als er sich Ritter Cyril offenbart hatte, war alles anders geworden. Die Wahrheit zu erfahren hatte sein Leben verändert.
Er versuchte, seine Gedanken und Gefühle zu ordnen, doch stand er vor einem hoffnungslosen Wirrwarr. Isana war seine Mutter. Sein Vater war ermordet worden - und seine Feinde befanden sich aller Wahrscheinlichkeit nach noch immer auf freiem Fuß. Sollte er zornig sein, weil sie ihn des Vaters beraubt hatten? Es erschien ihm richtig, doch bislang ließ diese Wut auf sich warten. In vielen Geschichten hätte ein junger Mann seines Ranges Racheeide geschworen und wäre losgezogen, um mit grimmiger Entschlossenheit die Mörder seines Vaters zu bestrafen.
Stattdessen fühlte er sich benommen. Zu viel war in so kurzer Zeit geschehen. Isanas Gefühle, als sie ihm von seinem Vater erzählte, hatten großen Schmerz ausgedrückt. Er hatte sie trotzdem in sich aufgesogen wie ein Verdurstender eine Flasche Wasser, und dennoch konnte er nicht leugnen, wie sehr ihn dieses Erlebnis erschüttert hatte. Vielleicht war dieses eigenartig friedvolle
Fehlen von Gefühlen nur die Folge einer Überlastung, so wie das Klingeln in den Ohren in der Stille nach dem Tosen einer Schlacht.
Er hatte die Trauer und
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