Der Puppendoktor
angewidert die Schläfen massierte.
In seinem stickigen Büro spielte Jean-Jean mit einem Stein, es war ein Splitter von einem guatemaltekischen Beil, den ihm Melanie von ihrer letzten Reise in einen Ferienclub mitgebracht hatte und der ihm als Briefbeschwerer diente.
Vor ihm standen Costello und Ramirez. Zwei Auslaufmodelle von Polizisten am Ende ihrer Karriere, die man vor zwei Jahren, sozusagen als Willkommensgruß, in seine Abteilung versetzt hatte.
Costello trat von einem Fuß auf den anderen und fühlte sich offensichtlich nicht wohl in seiner Haut. Im Ausschnitt seines geöffneten Hemds sah man gekräuseltes, graues Brusthaar und ein Goldkettchen, in das ein Vorname graviert war: Tony. Er hatte es eilig, zu seinem Kreuzworträtsel zurückzukehren. Ramirez kratzte sich unbeeindruckt den Kopf.
Jean-Jean schnaubte wütend. Bohrte in der Nase. Er nahm Costellos weiße Schuhe wahr - ein Modell aus den fünfziger Jahren - und den ausdruckslosen, schläfrigen Blick von Raymond Ramirez.
Er hob eine rächende Hand.
»Gut!«
Ramirez zuckte zusammen. Costello seufzte.
»Costello, du klapperst die Tierärzte ab. Sie sollen dir eine Liste aller Patienten geben, die einen solchen Hund besitzen.«
»Um diese Jahreszeit sind viele Praxen geschlossen …«
»Dann nimmst du dir eben die restlichen vor. Ich weiß, dass um diese Zeit nur Idioten wie wir arbeiten, aber dafür sind wir da. Und du, Ramirez, du gehst ins Tierheim!«
»Und was soll ich da, Chef?«
»Du überprüfst, welche verloren gemeldeten Tiere nicht dort sind, okay?«
»Verlorene dort … Kapiert, Chef! Bis später.«
Die beiden entfernten sich mit schleppendem Schritt. Sie würden schließlich nicht zwei Jahre vor dem Rentenalter einen Herzinfarkt riskieren, nicht wahr?
Jean-Jean hingegen sagte sich, wenn seine Frau mit den Mädchen nach Korsika führe, hätte er immer noch Melanie.
Der kleine Mann betrachtete den Hundekopf. Er hatte eine Marke am Ohr. Gar nicht dumm! Er steckte ihn in eine Plastiktüte, knotete sie zu und warf sie in die Mülltonne.
Ohne mich wäre dieser Hund ohnehin bei lebendigem Leib zerstückelt worden. In gewisser Weise habe ich ihm einen Gefallen getan. Ein sauberer Tod. Sonst wäre es eine Vivisektion geworden … Durch diesen Dreckskerl von Martin sind die Labore immer mit lebendigem Frischfleisch für ihre Experimente versorgt. Eine gute Idee, die Schlüssel zu behalten, als diese Idioten mich gefeuert haben. Mal wieder eine gute Idee. So musste ich nicht einen Rentner niederschlagen, um seinen Köter zu klauen. Äußerst diskret!
Vor dem Tod sind ohnehin nicht alle gleich. Sonst wären wir alle bestimmt, eine Zeit zu funktionieren, um dann zu enden wie verbrauchte Batterien. Also muss man an etwas sterben. Was ist schlimm daran, von der Hand eines Mörders zu sterben und nicht an Leberkrebs? Ist es etwa intelligenter, an Leberkrebs zu sterben? Ist das würdevoller?
Wie das Mädchen. Es wäre vielleicht in fünf Jahren bei einem Unfall mit dem Motorroller gestorben. Außerdem, ein Kind mehr oder weniger, was spielt das auf dieser Welt schon für eine Rolle? Täglich sterben Tausende, ohne dass sich irgendjemand darum kümmert, und mir will man ans Zeug, weil ich dieser elenden Gesellschaft ein paar Mitglieder entziehe? Irgendein Idiot von der Nato bombardiert ein Flüchtlingslager und, zack, hundert Tote auf einen Schlag: Er sagt »Oh, Entschuldigung« und damit ist die Sache erledigt, während ich lebenslänglich riskiere! Verurteilt von Hühnern in einer Legebatterie!
Ganz in sein Selbstgespräch vertieft, hatte er Juliettes nackten Körper auf den Tisch gelegt. Ein Fuß fehlte, der linke. Der abgesägte Knochen ragte aus dem gefrorenen Fleisch. Er fuhr sich mit dem Handrücken über den Mund, ein Tick, den er seit seiner Kindheit hatte. Dann beugte er sich über den steifen, eisigen Körper. Ein angenehmes Gefühl, diese Kälte des Todes . Er hatte schon mehrmals probiert, in die Körper, die er in der Tiefkühltruhe aufbewahrt hatte, einzudringen, aber sie waren zu hart, steif gefroren. Bei der Kassiererin hatte er gespürt, wie bei diesem Versuch der Oberschenkelknochen brach. Er wälzte sich auf Juliette, zappelte einen Moment wie ein Hund, das verzerrte Gesicht über dem abgetrennten Hals des Mädchens. Dann entspannte er sich und fröstelte.
Was tust du da? Was machst du bloß?, fragte die Stimme in seinem Kopf, die Stimme, die sie ihm eingepflanzt hatten und der es manchmal gelang, sich durchzusetzen.
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