Der Puppenfänger (German Edition)
verwandt?«
»Selbstverständlich bin ich mit Beate Buttenstett verwandt. Sie ist meine Großnichte, Ilses Tochter. Ilse ist mein Patenkind. War mein Patenkind«, fügte sie zögernd hinzu. »Denn Ilse lebt ja nich mehr. Und für den Schöllen, das sage ich dir jetzt im Vertrauen, für den interessiert sich sowieso niemand. Der soll ruhig bleiben, wo der Pfeffer wächst. Das hab ich auch Marianne Wanner gesagt.«
»Marianne Wanner?«, fragte Heide.
Tante Martha zeigte auf eine schlanke, elegant gekleidete Mittsechzigerin, die in diesem Moment aus einem beigefarbenen Peugeot stieg. Sie hielt ein Handy am Ohr und nahm, während sie leise sprach, eine blauweiß gestreifte Einkaufstasche vom Rücksitz. Frau Wanner trug ein cremefarbenes, knöchellanges, schmal geschnittenes Strickkostüm und hatte sich ein dunkelblaues Schultertuch umgelegt. Die Farben des Tuchs und des Kostüms wiederholten sich in einem breiten Band, das ihre gewellten, dunkelblonden Haare im Nacken zusammenhielt.
»Die elegante ältere Dame, die eben in die Apotheke gegangen ist, heißt Marianne Wanner?«, vergewisserte Heide sich und stellte unverblümt fest: »Sie telefoniert gerne und grüßt nicht.«
»Marianne ist Tommys Tante. Die Apotheke hat er von ihr gepachtet. Sie weiß ganz genau, wovon ich rede, und Richard und Tommy genauso.«
»Richard?«
»Richard Wanner, das ist ihr Sohn.«
»Wohnt Richard hier im Ort?«
»Nee! Warum willst du das wissen?«
»Irgendwie kommt der Name mir bekannt vor«, erwiderte Heide. Sie hatte den Passat mit dem Nordhorner Kennzeichen vor Augen, der ihr hinter Schöllens Grundstück aufgefallen war und dessen Halter Richard Wanner hieß.
»Richard ist nach Nordhorn gezogen, als …«
»Ach, Richard wohnt jetzt also in Nordhorn?«, sagte Heide, als wäre ihr nicht allein der Name, sondern auch der Mann bekannt.
Tante Martha presste die Lippen aufeinander und zeigte damit deutlich, dass sie kein weiteres Wort über Richard Wanner verlieren würde. Schade, dachte Heide. Sie hätte gerne mehr über Simone Schöllens Besucher erfahren, beschloss aber, den Rückwärtsgang einzulegen, um Tante Martha nicht zu verschrecken. »Und Tommy?«, erkundigte sie sich.
»Tommy ist unser Apotheker. Bei ihm hab ich mir soeben meine Pillen geholt.«
»Hat der Tommy auch einen Nachnamen?«
»Er heißt Orthes, Thomas Orthes, aber alle nennen ihn Tommy. Er ist Beates Freund.«
»Ja, davon habe ich bereits gehört«, erwiderte Heide. »Beate hat erwähnt, dass sie mit ihm befreundet ist.«
»Die Marianne wurde vom Schicksal ordentlich gebeutelt«, sagte Tante Martha und seufzte. »Man muss nur auf den Kirchhof gehn, dann weiß man Bescheid.« Sie fasste nach einer Haarsträhne, die Heide über die Stirn fiel, und strich sie ihr behutsam aus dem Gesicht. »Bisschen Haarspitzen nachschneiden würde dir auch nicht schaden, mein Kind. Du erinnerst mich an meine Enkelin Nele. Ich habe sie seit langem nicht gesehn.«
»Wo wohnt Ihre Enkelin?«
Tante Marthas Wangen röteten sich. »Die ist immer unterwegs, Heide. Mal hier, mal da, aber immer weit weg. Ihre letzte Karte kam aus Südamerika. Brasilien, glaube ich. Sie testet Hotels, den Komfort, all das, was unsereiner nie kennengelernt hat.«
»Das ist interessant.«
»Ich hätte das Kind lieber in meiner Nähe.«
»Darf ich Sie nach Hause fahren?«, fragte Heide in der Hoffnung, die alte Dame könne ihr noch mehr Aufschlussreiches erzählen.
»Da würde ich mich drüber freuen, aber erst musst du dir beim Tommy die Kopfschmerztabletten holen.«
»Wird gemacht«, stimmte Heide zu. »Währenddessen machen Sie es sich schon mal in meinem Auto bequem.«
Sie schloss den Wagen auf, legte den Kuchen auf den Rücksitz, war Tante Martha beim Einsteigen behilflich, klappte den Rollator zusammen, verfrachtete ihn in den Kofferraum und ging zur Apotheke.
*
Als Heide die Eingangstür hinter sich schloss, fühlte sie sich ins 19. Jahrhundert zurückversetzt. Wissbegierig sah sie sich um. Die Wände des quadratischen Verkaufsraumes waren mit deckenhohen, antiken Schränken und Regalen ausgestattet, fächerförmig zog sich eine Wandverkleidung aus Eichenholz bis in die Mitte der Decke. Vier gleichmäßig im Raum verteilte kupferne Lampen warfen ein warmes Licht auf den gewachsten Parkettboden aus Eichenholz und auf zahlreiche Regalbretter voller Glas- und Porzellangefäße in den unterschiedlichsten Formen, Größen und Farben. Unterhalb der offenen Fächer präsentierten sich
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