Der Puppenfänger (German Edition)
Beates Stimme schrill durch den Telefonhörer. »Verstehst du? Die Bullen reagieren nicht. Nichts! Rein gar nichts machen sie, Heide! Sie sitzen untätig auf ihren Ärsch…, entschuldige. Sie warten, bis man irgendwann Geralds Leiche findet, aber dann … dann ist es zu spät.«
Beates kurzzeitiger Ausflug in das Gemütsland Wut endete erneut im Land des Jammers. »Inga und Paula vermissen ihren Papi. Sie fragten nach ihm, und heute wollten sie ohne die Gutenachtgeschichte, die er ihnen jeden Abend vor dem Zubettgehen vorliest, nicht einschlafen. Simone ist verzweifelt. Sie liebt ihn so sehr, und ich befürchte, sie bringt sich um, wenn ihm etwas zugestoßen ist.« Beate schluchzte.
Heide kannte Beates Schwester lediglich oberflächlich. In ihrer Erinnerung sah sie eine sehr schlanke, attraktive Blondine, die mindestens zehn Jahre jünger war als Beate. Damals waren Heide besonders die lockigen, seidig schimmernden Haare aufgefallen, auf deren Pflege Simone ganz offensichtlich sehr viel Wert legte. Aus früheren Erzählungen wusste sie, dass Simone bis zu ihrer Heirat als Floristin in einem angesehenen Osnabrücker Blumengeschäft gearbeitet hatte, dass ihr Ehemann Gerald Schöllen hieß, mehrere Fitnessstudios besaß und als ziemlich wohlhabend galt.
»Habt ihr über eine Entführung nachgedacht?«
»Ja!« Beate hatte sich beruhigt und die Lautstärke ihrer Stimme dem neuen Gemütszustand angepasst. Heide hörte Musik und Geräusche, die darauf hindeuteten, dass ihre Gesprächspartnerin sich nicht allein im Zimmer aufhielt. »Selbstverständlich haben wir zuerst angenommen, Gerald könnte entführt worden sein, aber es ist bisher kein Erpresserschreiben eingegangen«, erklärte Beate. »Simone ist bereits Montagabend nach Lingen aufs Kommissariat gefahren, um ihn als vermisst zu melden. Sie ist auf taube Ohren gestoßen. Dabei sind wir uns sicher, dass er nicht freiwillig … Er ist so ein liebevoller Ehemann und Vater.« Beate begann erneut zu weinen. Heide hörte sie schluchzen und leise murmeln: »Lass nur, es geht schon. Ich danke dir!«
»Du bist nicht allein, Beate? Ist Simone bei dir?«
»Nein, Tommy, Thomas Orthes ist bei mir. Er hat mir eine Tasse Tee gebracht. Du kennst ihn nicht. Bei mir hat sich privat einiges getan, seitdem wir uns das letzte Mal getroffen haben!«
Heide beschloss, sich jede Frage nach Thomas oder Tommy zu verkneifen, um das Gespräch nicht noch weiter in die Länge zu ziehen. »Könnte es sein, dass Gerald irgendjemanden besucht?«, fragte sie. »Verwandte oder Freunde? Irgendjemanden, den Simone vielleicht nicht kennt. Irgendeine Frau aus einer Zeit vor ihrer Hochzeit?«
»Das ist völlig ausgeschlossen!«
Nichts ist ausgeschlossen, liebste Beate, schoss es Heide durch den Kopf. Mein Ehemaliger, der Herr Staatsanwalt Hammer, ist vor vier Jahren zwar nicht klammheimlich verschwunden. Aber er hat sich auf eine Art und Weise von mir verabschiedet, die mindestens ebenso verletzend war. Er hat sich mit dieser dämlichen Kuh Patricia in flagranti von mir in unserem Schlafzimmer erwischen lassen. Heide atmete tief durch, wunderte sich ein wenig, dass der fast vergessene Schmerz sachte in ihrer Magengrube klopfte, und erwiderte betont gleichgültig: »Du kennst doch diese dubiosen Geschichten, Beate. Sie beginnen mit dem Satz: Ich hole Zigaretten und enden …«
»Gerald hat niemanden außer Simone und den Kindern«, unterbrach Beate sie resolut. »Er liebt sie. Seine Eltern leben nicht mehr, Geschwister hat er nicht. Auch keine engen Freunde. Bei den gemeinsamen Bekannten und Geschäftspartnern haben wir uns bereits nach ihm erkundigt. Er würde seine Familie niemals freiwillig allein zurücklassen. Das musst du mir glauben, und du musst dich um diese Sache kümmern. Wenn nicht für mich als Freundin, dann betrachte meine Bitte als Auftrag.«
»Wo hat Simone ihn kennengelernt?«, fragte Heide misstrauisch. Menschen, die weder Verwandte noch Freunde oder Bekannte vorweisen konnten, waren ihr äußerst suspekt.
»Sie haben sich in einer Osnabrücker Diskothek getroffen. Meiner Schwester zuliebe hat er hier im Ort gebaut. Sie besitzen ein herrliches Haus, das wunderschön und sehr teuer eingerichtet ist. Geralds Fitnessstudios sind wahre Goldgruben. Falls ich dich nicht davon überzeugen kann, dass er seine kleine Familie nie und nimmer freiwillig verlassen würde, hilft es vielleicht, dich an seinen geschäftlichen Erfolg zu erinnern. Warum sollte er alles, was ihm wichtig ist,
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