Der Puppenfänger (German Edition)
riskierte sie einen weitaus größeren Ärger mit ihm als den, den sie soeben erlebt und beinahe genossen hatte. Andererseits ging sie, was das betraf, kein besonders großes Risiko ein, denn sie würde jede Wette darauf abschließen, dass Beates Schwager sich mit einer unbekannten Schönheit davongemacht hatte und bald wieder auftauchte. Höchstwahrscheinlich verbrachte er sonnige Tage mit seiner frischen Liebe an einem weißen Sandstrand und tollte in heißen Nächten mit ihr in den zerwühlten Laken eines Hotelbettes. Oder Gerald Schöllen bot einer hilfsbedürftigen Patricia seine breite Brust zum Schutz. Genau wie der untreue Alexander es gemacht hatte, überlegte Heide. Mit Unmut registrierte sie, dass zu dem flauen Gefühl im Magen eine ohnmächtige Wut hinzugekommen war. Sie musste sich beruhigen. Empfindungen dieser Art nahmen zu viel Raum ein und hinderten sie am Einschlafen. Hätte Alexander sich ihr gegenüber nur ebenso loyal verhalten wie sie sich gegenüber Dieter, hätte sie ihm verzeihen können. Sie hatte mit Dieter Schluss gemacht, ehe sie mit Alexander ins Bett gestiegen war.
Süß und klebrig – wie Zuckerwasser – hatte Patricia sich mit ihrer vermeintlichen Lebensschwäche über Alexander ergossen und ihm den Verstand geraubt. In eine gut funktionierende, erfüllte Partnerschaft konnte niemand so leicht eindringen, wies sich Heide selbst zurecht. Zumindest diese Erfahrung hatte sie gemacht. Sie wusste auch, dass weder sie selbst noch Alexander während des letzten Jahres ihrer Beziehung wirklich glücklich gewesen war. Nicht nur ein Mal hatte sie ihn mit ihrem Kommissar verglichen, dem sie beruflich oft über den Weg gelaufen war und der sie ständig an gemeinsame Zeiten erinnert hatte.
Sie zog Dieters Kopfkissen zu sich und drückte ihr Gesicht hinein. Der Bezug duftete ganz leicht nach seinem Rasierwasser. Dieter und sie wohnten zwar in getrennten Wohnungen, aber beide nahmen abwechselnd die Fahrt von Nordhorn nach Osnabrück und zurück auf sich, um nicht getrennt voneinander schlafen zu müssen. Das Bett erschien ihr für eine Person viel zu breit und zu lang. ›Kingsize‹, hatte der blonde Dieter, der größer als ein Meter neunzig war, gemeint, als sie das Schlafzimmer neu möblierten. ›Ich will Kingsize mit Überlänge, meine Schöne, denn ich möchte es mir in der Lasterhöhle längs und quer bequem machen und so richtig meine Beine ausstrecken.‹
Sie musste endlich einschlafen, beschloss Heide und befürchtete gleichzeitig, dass es ihr nicht gelingen würde. Sie kannte den Zustand, in dem das Gedanken-Karussell sich zu drehen beginnt und nicht mehr zu stoppen ist, sehr gut. Deswegen wollte sie auf der Stelle an etwas Schönes denken und auf gar keinen Fall länger an den sturen Dieter, der im Wohnraum allein auf dem Sofa lag. Erst recht wollte sie nicht über Alexander nachgrübeln. Vorbei war vorbei. Sie hatte mit diesem Kapitel ihres Lebens abgeschlossen, und sie wünschte sich diesen Mann auf gar keinen Fall zurück. Der Schuft hatte ihr bis dahin heiles Männerbild zerstört und Misstrauen gegen jedes erwachsene männliche Wesen in ihr gesät. Das würde sie ihm niemals verzeihen. Auch ihre Beziehung zu Dieter litt darunter, denn seit der Trennung von Alexander war sie eifersüchtig. Allein der Gedanke an diese schändlichen, absolut beschämenden Empfindungen trieb ihr die Röte ins Gesicht und ließ ihr Herz schneller schlagen. Niemals durfte Dieter erfahren, dass sie ihm misstraute.
›Ich will gebraucht werden. Du brauchst mich nicht‹, hatte Alexander Hammer ihr beim Abschied vorgeworfen. ›Du kommst wunderbar allein zurecht.‹ Zumindest mit dieser Aussage hatte der Herr Staatsanwalt ins Schwarze getroffen. Er sollte sich – verdammt noch mal – sofort zum Teufel scheren und in die Vergangenheit abtauchen. Sie kam tatsächlich wunderbar ohne ihn klar und brauchte gerade ihn, diesen hinterhältigen Betrüger, ganz bestimmt nicht.
Noch heute war sie ihrem Herrgott dankbar, dass ihre Hausbank ihr ein Hypothekendarlehen gewährt und sie so in die Lage versetzt hatte, Alexander seinen Anteil an der heißgeliebten, gemeinsam angeschafften Altbauwohnung in der Marienstraße abzukaufen. Um Miete zu sparen hatte sie ihre Büroräume in der Dielingerstraße gekündigt und die Detektei in die Privatwohnung verlegt. Ihre Mitarbeiterin Helen Schneider hatte einen Platz in Alexanders ehemaligem Arbeitszimmer gefunden, sie selbst im früheren Mal- und Gästezimmer. Das
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