Der Puppengräber
fernhalten. Ich möchte nicht eines Tages eine von ihnen finden wie Ursula Mohn vor acht Jahren.»
Meine beiden! Das war ein spitzer Dorn in Jakobs Herzgrube. Eine von beiden war seine. Und Ursula Mohn, die Paul anführte … Das war wirklich ein starkes Stück. «Was hatte er denn damit zu tun?», brauste Jakob auf. «Überhaupt nichts. Das solltest du besser wissen als ich.»
«Ich weiß einiges besser als du», sagte Paul und verstummte, als ihn ein warnender Blick Antonias traf.
ANTONIAS ENTSCHEIDUNG
Trude hatte immer eine Menge getan, um alles Üble von Ben und ihn von anderen Leuten fernzuhalten. Erreicht hatte sie nicht viel. Jahrelang hatte Antonia sich die Bemühungen schweigend angeschaut und häufig gedacht, dass Trude in bester Absicht die größten Fehler machte.
Manchmal fragte Antonia sich, was aus Ben geworden wäre, hätte sie damals angeboten, ihn für eine Weile zu sich zu nehmen statt seiner neugeborenen Schwester. Wenn er mit ihren Söhnen aufgewachsen wäre, in ihnen Vorbilder gehabt hätte. Andreas und Achim waren bestimmt keine Unschuldslämmer. Trotzdem wären sie für ihn der bessere Umgang gewesen als zwei feindselig eingestellte Schwestern. Paul wäre ihm vermutlich auch ein besserer Vater gewesen als der aus lauter Hilflosigkeit zum Jähzorn neigende Jakob. Und Antonia hätte ihn nicht aus Scham oder Furcht versteckt. Meist bekam sie über solchen Gedanken ein schlechtes Gewissen.
Im Frühjahr 85 sagte Antonia mit diesem schlechten Gewissen zu Trude: «Warum bringst du ihn nicht zu mir am Nachmittag? Er stört mich nicht, wenn er hier herumläuft. Und du schlägst zwei Fliegen mit einer Klappe. Er ist aus dem Dorf weg und hat regelmäßigen Umgang mit anderen Kindern. Ich finde, das ist wichtig, Trude. Du kannst ihn nicht sein Leben lang von allem fernhalten. Er muss es doch lernen.»
«Ich weiß nicht», meinte Trude zögernd und überrascht von diesem Vorschlag. «Das kann ich dir nicht zumuten. Du hättest keine ruhige Minute.»
«Das lass nur meine Sorge sein», widersprach Antonia, erleichtert wie ein Mensch, der endlich handelte, statt immer nur übers Handeln nachzudenken. «Ich komme schon mit ihm zurecht. Um die beiden Kleinen brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Du siehst doch, dass er ihnen kein Haar krümmt. Meine Jungs werden auch mit ihm fertig. Mit Annette werde ich reden, dass sie ihn nicht anbrüllt, wenn er ihr dumm kommt. Du wirst sehen, Trude, wenn ihm niemand etwas tut, tut er auch keinem etwas. Und was man ihm bisher angetan hat, vielleicht vergisst er es hier wieder.»
Antonia hatte nie erfahren, wem Ben seinen Aufenthalt im Pütz und im Krankenhaus verdankte. Sie hatte nur aus seinem Verhalten einige Schlüsse gezogen und kam damit der Wahrheit ziemlich nahe. Da sich Bens Wut ausschließlich gegen größere Mädchen richtete, ging Antonia davon aus, dass er von einem Mädchen angegriffen und in den Pütz geworfen worden war. Auf die normalerweise sanfte und ein wenig einfältige Bärbel wäre sie allerdings nie gekommen.
Antonias Vorschlag hatte einiges für sich, das musste Trude eingestehen. Es wäre schon eine Erleichterung, ein paar Stunden zu haben, in denen sie sich keine Sorgenmachen, in denen sie nicht hetzen und springen müsste. In denen sie ihn sicher und gut aufgehoben wusste an einem Ort, an dem er sich anscheinend gerne aufhielt und auch willkommen war.
Im Mai 85 brachte Trude ihn das erste Mal für einen Nachmittag hinaus zum Lässler-Hof, danach regelmäßig. Und sooft sie es einrichten konnte, blieb sie für ein oder zwei Stunden, um zu sehen, wie er sich verhielt, dass er Antonia nicht unnötigen Ärger machte. Anfangs schmerzte es ein wenig, festzustellen, wie anders er da draußen war. Friedlich, sanft, geduldig, ein hohler Kopf mit den Augen einer Eule und dem Gemüt eines alten Ackergauls. Antonias Planspiele gingen auf, eins nach dem anderen.
Einmal saß er neben Andreas am Küchentisch und schaute fasziniert zu, wie Annettes Transistorradio auseinandergenommen und wieder zusammengesetzt wurde. Als eine winzige Schraube unter den Schrank rollte, war es Ben, der sie fand. Ein andermal stampfte er neben Achim durch den neuen Schweinestall und beobachtete gespannt, wie die Tiere gefüttert wurden. Die schweren Säcke, die Achim über den Boden schleifte, hob Ben sich auf die Schulter.
Mit Tanja und Britta ging er stets behutsam um. Annette und ihre Freundin waren ihm anfangs noch ein Dorn im Auge. Wenn sie in seine Nähe
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