Der Puppengräber
der Wiese herumtrieb. «Und jetzt sag nicht, dass es nicht stimmt, Jakob. Er ist sogar spätabends noch draußen. Ich sehe ihn oft, wenn ich mit dem Hund gehe.»
Zu einer Antwort kam Jakob nicht. Ben war auf Lukkas Stimme aufmerksam geworden und erschien in der Wohnzimmertür.
«Da kommt ja mein Freund», sagte Heinz Lukka und kramte in einer Tasche seines Jacketts nach einem Schokoladenriegel. «Sieh mal, was ich für dich habe. Willst du mir helfen? Mal sehen, ob wir deinen Vater mit vereinten Kräften überzeugen, dass die Wiese einen Zaun braucht.»
«Da gibt’s nichts zu überzeugen», sagte Jakob mürrisch. «Da ist ein Schild: Betreten verboten! Das reicht.»
Ben nahm den Riegel aus Heinz Lukkas Hand, riss das Papier ab, stopfte sich die Schokolade in den Mund und rieb seine Stirn am Jackettärmel des Rechtsanwalts. Heinz Lukka strich ihm über das Haar und lächelte.
Es war dieser Anblick, der Jakobs Ärger zu Wut steigerte. Dass ein Mann wie Lukka, dessen Schandtaten in Jugendjahren aufzuzählen Jakobs Finger nicht gereicht hätten, seinem Sohn zärtliche Gesten abschmeichelnkonnte, war mehr, als Jakob vertrug. An seinem Arm hatte Ben die Stirn noch nie gerieben.
«Geh zu Mutter», befahl Jakob.
Ben verließ den Raum, ging jedoch nicht zu Trude in die Küche, sondern zur Treppe. Trude sah es aus den Augenwinkeln, aber sie dachte sich nichts dabei. Er war auch zuvor in seinem Zimmer gewesen und hatte dort mit einem krummen Nagel wirre Muster in die Schalen einiger Kartoffeln geritzt. Dass Ben nach ein paar Minuten mit einer Puppe von Anita zurückkam, sah Trude nicht mehr. Sie war mit ein paar Essensresten zum Schweinestall gegangen. Ben kam mit der Puppe ins Wohnzimmer und legte sie Heinz Lukka in den Schoß.
«Willst du mir das Püppchen schenken?», fragte Heinz Lukka. «Du bist ein lieber Kerl. Aber es gehört doch dir.»
«Rabenaas», sagte Ben, nahm die Puppe wieder an sich, riss ihr das Kleid vom Leib und ein Bein aus. Dann warf er sie auf den Boden und trat ihr auf den Leib, dass es knirschte.
Als Trude zurück in die Küche kam, hörte sie das Geschrei aus dem Wohnzimmer. Heinz Lukka saß im Sessel, hielt den demolierten Puppenleib in der einen und das abgerissene Bein in der anderen Hand und schüttelte schockiert den Kopf, während Jakob auf Ben eindrosch. Trude war mit zwei Schritten bei ihm, wollte ihm den Arm festhalten und erhielt einen Stoß vor die Brust, dass sie taumelte. Jakob war völlig außer sich.
«Jakob», mahnte Heinz Lukka.
«Halt du dich raus!», schrie Jakob.
Ben kreischte und wälzte sich über den Boden. Als er Heinz Lukkas Beinen zu nahe kam, klammerte er sich schutzsuchend daran fest und wimmerte. Jakob versuchte den Griff zu lösen und drosch dabei weiter aufihn ein. Erst als Trude laut weinend den Raum verließ, fand er ein Ende.
«Das war nicht nötig», sagte Heinz Lukka mühsam beherrscht, betrachtete die Puppenteile in seinen Händen und den wimmernden Jungen auf dem Fußboden.
«Woher willst du wissen, was hier nötig ist?», brüllte Jakob. «Krieg du mal selbst Kinder, dann reden wir weiter. Er muss lernen, dass er sich nicht an anderer Leute Sachen vergreifen darf. Das sind die Puppen seiner Schwestern.»
Einige Tage lang sorgte Trude dafür, dass das Zimmer der beiden Töchter verschlossen blieb. Mit dieser Maßnahme wurden die Puppen auf Anitas Bett für Ben unerreichbar. Aber er verstand es, sich Ersatz zu beschaffen. Da waren die prächtigen neuen Häuser an der Bachstraße. Da gab es mehr als ein Kind, das bei Sonnenschein im Garten spielte mit einer Puppe, die ein kleines Vermögen gekostet hatte. Als die erste erboste Mutter in Trudes Küche erschien und sich beschwerte, blieb die Tür wieder offen.
Und die alten Puppen auf Anitas Bett verschwanden eine nach der anderen. Manchmal fand sich ein Bein, ein Glasauge oder ein Fetzen von einem Puppenkleid im Hof, in der Scheune oder im Garten. Mochte Trude ihm goldene Berge versprechen, er ließ es nicht. Mit den Puppen verschwanden die Küchenmesser, kleine, große, spitze, scharfe, stumpfe, alles, was nur eben eine Klinge hatte.
Jakob prügelte wieder wie in alten Zeiten, drosch den Zorn, die Eifersucht und die Verzweiflung aus seinem Herzen in Bens Seele. Da er oft schon beim Frühstück eine Strafe androhte, falls wieder eine Puppe verschwinden sollte, entzog sich Ben seinen Fäusten, sooft sich die Möglichkeit bot.
Er trieb sich auf der Apfelwiese herum, robbte auf dem Bauch um den
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