Der Puppengräber
die beiden Schweine und die Hühner. Danach erst wagte sie sich in Bens Zimmer. Das Bett war leer. Sie hatte es nicht anders erwartet. Verdrängte jeden Gedanken an Svenja Krahl und Marlene Jensen und hielt sich stattdessen an Klaus und Eddi fest. Sie putzte mit einem Tuch über das Fenster, damit es nicht so aussah, als hielte sie Ausschau nach ihm.
Wenn nur die Angst nicht gewesen wäre. Und nicht die blutige Handtasche. Und nicht dieser Drang zwischen seinen Beinen. Es wäre nicht nötig gewesen, dass die Natur ihn erinnerte, was er war. Er war erst dreizehn gewesen, als Trude zum ersten Mal eindeutige Spuren in seiner Unterhose entdeckt hatte.
Anfang dieses Jahres hatte Jakob ihn erwischt, als Ben durchs Schlüsselloch der Badezimmertür äugte. Im Badezimmer rubbelte Trude sich mit einem Handtuch die Wassertropfen vom nackten Rücken und stand dabei nichtsahnend mit der Vorderseite zur Tür. Ben lag auf den Knien, zeigte auf das Schlüsselloch, hinter dem in aller Deutlichkeit der üppig sprießende dunkle Busch unterhalb von Trudes Nabel zu erkennen war. «Fein», sagte Ben, als Jakob ihn fragte, was er vor der Badezimmertür zu suchen habe.
Und Trude wusste genau, was Fein bedeutete. Er hatte seinen geringen Sprachschatz differenziert. Fein machtwar eine gute Tat, ein gelungenes Werk, etwas, wofür er ein Lob erwartete oder austeilte. Und Fein war etwas Allumfassendes. Es war ein Streicheln über die Wange oder ein mütterlicher Kuss. Es waren die Küken, die toten Mäuse und die Puppen. Es waren die Mädchen und Frauen, die nett und freundlich mit ihm umgingen. Den anderen brüllte er Rabenaas hinterher.
Fein war beim Baden Trudes Hand mit der Seife. Er konnte sich nun einmal nicht alleine säubern, Jakob hatte nicht immer Zeit, und man musste ihn doch waschen. Es störte Trude nicht, dass sie ihn immer noch baden musste wie ein kleines Kind. Aber dass sich dabei gewisse Regungen zeigten, hätte nicht sein müssen. Als sie einmal voller Besorgnis mit Jakob darüber sprach, zuckte er mit den Achseln: «Da kann man nicht viel machen. Er hat genau so ein Gefühl wie du und ich. Nur kann er es nicht steuern. Versuch es mit kaltem Wasser, vielleicht hilft es.»
Trude hatte es einmal versucht, nicht bei Ben, bei sich, um zu fühlen, wie das war. Kalt war es, ziemlich unangenehm. Wenn man wusste, warum es sein musste, mochte man sich damit abfinden. Aber woher hätte er das wissen sollen? Und einen anderen Rat wusste Jakob nicht. Als das mit dem Schlüsselloch passierte, sagte er nur: «Häng beim nächsten Mal ein Tuch über die Klinge. Es ist das Alter.»
Und wenn es nun passierte, während er draußen herumlief, zufällig einem Mädchen begegnete, das von zwei Burschen aus einem Auto geworfen worden war – halbnackt und sehr wütend?
Trude versuchte krampfhaft, sich sein Erscheinungsbild von dem Sonntagmorgen, an dem Marlene Jensen vermisst wurde, in Erinnerung zu rufen. Es war genaugenommen immer gleich, ein Riemen um die Taille, einkariertes Hemd und eine Jogginghose mit Grasflecken und Dreck auf Knien und Hosenboden, mit Steinen, Scherben, Käfern und Erdklümpchen in den Taschen. So sehr sie auch überlegte, andere Flecken und Klümpchen kamen ihr nicht in den Sinn.
Blut, davon war Trude überzeugt, wäre ihr aufgefallen. Es kam oft vor, und es fiel ihr immer auf, weil es jedes Mal galt, nach einer Wunde zu suchen, damit er sich bei seiner nächsten Wühlerei im Dreck nicht mit irgendwas infizierte. Wundstarrkrampf, Trude hatte davor einen ebenso großen Respekt wie vor einer Lungenentzündung.
Dienstags war sein Hemd nass gewesen, als er zum Frühstück erschien, fiel ihr ein. Und seine Hose hatte ausgesehen, als sei er in Schlammpfützen gesprungen. Bis weit über die Knie hatten sich die Spritzer gezogen. Seltsam, es hatte seit Wochen nicht geregnet. Wo gab es denn jetzt noch Pfützen?
Während ihrer Überlegungen bezog sie sein Bett mit frischer Wäsche, dann ging sie noch einmal zum Fenster. Und endlich sah sie ihn aufs Haus zukommen. Er kam quer durch Bruno Kleus Rüben vom Bruch her und war noch weit entfernt. Die Arme schlenkerten bei jedem Schritt, schienen immer ein bisschen zu lang. Den Kopf hielt er vorgebeugt, suchte mit den Augen den Boden ab. Das tat er immer, als ob es wundersame Dinge zu entdecken gäbe.
Zweimal bückte er sich, hob etwas auf. Beim ersten Mal steckte er seinen Fund in die Hosentasche. Beim zweiten Mal schien er ihm nicht wertvoll genug. Nachdem er ihn eine Weile
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