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Der Puppengräber

Der Puppengräber

Titel: Der Puppengräber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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ins Dorf. Wenn sie sehen, dass du da herumläufst, sperren sie dich ein.»
    Es war alles vergebens, sie mochte drohen, betteln, sich den Mund trocken reden und sich nachts die Augen aus dem Kopf weinen, sobald sich die Gelegenheit ergab, war er weg. Ob das Hoftor verschlossen war oder nicht, für ihn machte das keinen Unterschied mehr. Man kam auch, wie er längst herausgefunden hatte, über den Feldweg ins Dorf. Und ihn einzusperren, brachte Trude nicht übers Herz.
    Es zog ihn zum Café Rüttgers, zu Heinz Lukkas Wohnung oder zur Grundschule, die nur eine Straße weiter lag, die auch Albert Kreßmann besuchte. Während der Unterrichtsstunden lief er mutterseelenallein über den Pausenhof. Wenn die Pause begann, mischte er sich unter die anderen Kinder.
    Mehr als einmal erschien um die Mittagszeit eine aufgebrachte Mutter in Trudes Küche und behauptete, Ben habe ihr Kind belästigt. Meist handelte es sich um kleine Mädchen, die er über den Pausenhof gescheucht hatte wie Küken. Ob er es auf Anweisung von Albert Kreßmann oder aus eigenem Antrieb getan hatte, ließ sich nie in Erfahrung bringen.
    Jedes Mal hatte Trude Mühe, die Aufgebrachten zu besänftigen, bei allen Heiligen im Himmel und beim Leben ihrer Mutter, die seit etlichen Jahren auf dem Friedhof in Lohberg lag, zu schwören, dass Ben es nicht böse meinte, dass er nur spielen wollte. Wenn die Kinder über den Pausenhof rannten, rannte er eben hinterher. Und wegen ihrer Mutter und Gerta Frankens Beobachtung kam Trude sich dabei so falsch und verlogen vor.
    Einmal wurde er nachmittags von Thea Kreßmann am Marktplatz aufgegriffen. Thea erzählte, er habe auf der Bank am Rand des Platzes gesessen und die freie Fläche mit trübsinnigem Blick gemustert. Einmal brachte Antonia Lässler ihn von einem Spielplatz im Neubaugebiet am Lerchenweg zurück. Dort hatte er einem kleinen Mädchen die Puppe abgenommen, ihr vor den Augen des Kindes mit einem Stein auf den Kopf geschlagen, ihr anschließend das Kleid heruntergezerrt und die Beine ausgerissen.
    «Was soll ich denn machen?», sagte Trude. «Jakob hat ihn schon so oft dafür verprügelt. Ich kann ihn doch nicht auch noch halbtot schlagen.»
    Einen Rat wusste Antonia nicht, nur den schwachen Trost, dass andere es auch nicht leicht hatten mit ihren Kindern. Sie selbst konnte nicht klagen. Ihre Jungs waren vernünftig, Annette machte auch keine Probleme. Toni und Illa von Burg hatten ebenfalls Glück mit ihren Söhnen. Uwe, der älteste, fuhr zwar oft mit einem entsetzlichknatternden Mofa durch die Straßen und kam mit seinem Taschengeld nur selten einen Monat über die Runden, weil er sich bei jungen Mädchen sehr spendabel gab. Doch bei einem Sechzehnjährigen musste man Verständnis für solche Dinge zeigen. Illa und Toni zeigten viele Verständnis.
    Aber Richard und Thea Kreßmann hatten auch ihre Sorgen. Albert kam in der Schule nicht mit, begriff weder das kleine Einmaleins noch das Alphabet, schwänzte den Unterricht oder spielte in der Pause den starken Mann. Da hatte sich auch bereits die eine oder andere Mutter beschwert, weil Albert kleine Mädchen verhaute. An kleine Jungs traute er sich nicht heran.
    Und Renate Kleu wagte es kaum noch, ihren Dieter mit ins Dorf zu nehmen, weil er zum Berserker wurde, wenn er seinen Willen nicht durchsetzen konnte. Den Kindergarten hatte Dieter Kleu nur für zwei Wochen besuchen dürfen. Weil er alle Spielsachen für sich alleine haben wollte und die Kindergärtnerin mehrfach vors Schienbein getreten und in die Hand gebissen hatte, musste er nun daheim bleiben.
    Zu dieser Aufzählung nickte Trude nur. Es käme niemals ein Mensch auf die Idee, Albert Kreßmann oder Dieter Kleu in ein Heim einweisen zu lassen, nur weil sie im Dorf herumliefen, alles haben wollten, kleine Mädchen verprügelten, nicht rechnen und nicht schreiben konnten, etwas nachmachten, was ein anderer ihnen vorgeführt hatte. Oder weil sie von ihren Vätern bestraft wurden. Aber Ben   …
    Mehr als einmal war es Heinz Lukka, der sich für ihn einsetzte und seine Gutmütigkeit gegen alle Behauptungen verteidigte. Mehr als einmal zog es Jakob in Ruhpolds Schenke. Es war ein schlimmes Jahr für Trude. Als es zu Ende ging, dachte sie, es könnte keine Steigerungder Hilflosigkeit und der Angst geben. Dabei trug sie die Steigerung bereits in sich.

25.   AUGUST 1995
    Freitags verließ Jakob um sieben in der Frühe das Haus. Trude ging wie immer mit zur Tür und anschließend in den Stall. Sie versorgte

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