Der Puppengräber
Kerle. Hast du’s gelesen?»
«Ja», sagte Jakob. «Und ich hab auch gelesen, dass die beiden behaupten, sie hätten die Mädchen immer aussteigen lassen.»
«Natürlich behaupten sie das», sagte Trude. «So schnell werden sie nicht zugeben, wie es wirklich war. Aber Heinz meinte, ihr Leugnen nützt ihnen nichts.»
«Na, wenn Heinz das meint», sagte Jakob mürrisch und ging ins Haus. Aber er meinte es ja auch.
Trude brachte ihr Rad in die Scheune. Beim Abendessen saßen sie allein am Tisch. Ben kam in der Nacht nicht heim. Es ging alles weiter seinen gewohnten Gang.
SCHLIMME ZEITEN
Dass Ben im August 80 Annette Lässler nicht ermordet hatte, konnte damals schnell klargestellt werden. Nur eine halbe Stunde nachdem Gerta Franken ihre diesbezüglichen Beobachtungen an Hilde Petzhold weitergegeben hatte, erschien Hilde in Trudes Küche. Sie druckste ein wenig herum, ehe sie mit Gertas Behauptung herausrückte.
Trude wusste nicht, was sie sagen sollte. Ben hatte Annette die Puppe entrissen und sie zu Boden gestoßen, als sie ihr Eigentum zurückhaben wollte. Deshalb hatte Annette geschrien. Ben hatte von Trude einen Klaps auf den Hintern bekommen und sich in sein Zimmer verzogen. Jedenfalls nahm Trude an, dass er in sein Zimmer gegangen sei. Und sie war völlig sicher, dass Annette an Antonias Hand den Hof verlassen hatte, kurz nach sechs und quicklebendig.
Trotzdem rief Trude in Hildes Gegenwart bei Antonia an und ließ es bestätigen. Nachdem Hilde gegangen war, zitterte Trude stundenlang bei dem Gedanken, er könnte sich an einem anderen Kind vergriffen haben. Erst als sie später zu Bett ging, ahnte Trude, welche «Leiche» die verrückte Alte unter Bens Arm gesehen hatte. Wie er ihre Puppe ungesehen aus dem Haus geschleppt hatte, blieb ihr allerdings ein Rätsel.
Als Jakob am Abend nach Hause kam – von Hildes Bericht wusste er nichts –, fiel auch ihm auf, dass etwas zwischen den Kissen fehlte. Dass Trudes Puppe bereits die dritte war, erfuhr er nie. Es reichte ihm auch so. Trude mochte betteln und flehen, dass er nicht in Bens Zimmer stürmte und den schlafenden Jungen aus dem Bett riss. «Lass mich das in Ruhe mit ihm regeln. Vielleicht hater sie nur versteckt.» Daran glaubte Trude selbst nicht, nachdem Hilde wörtlich wiederholt hatte, was Gerta Franken gesehen haben wollte. Jakob wollte das nicht durchgehen lassen. «Er muss lernen, zwischen Mein und Dein zu unterscheiden.»
Er lernte es nicht. Als Antonia am nächsten Samstag wie gewohnt erschien, verwandelte Ben sich erneut in einen Berserker, riss Annette die Puppe aus der Hand und hatte in der nächsten Sekunde auch schon die Beine ausgerissen.
«Reg dich nicht auf, Trude», meinte Antonia. «Alle Kinder machen mal was kaputt. Annette hat mehr Puppen, als gut für sie ist. Es kommt auf eine nicht an.»
«Darum geht’s nicht», sagte Trude hilflos. Worum es ging, konnte sie nicht erklären, nicht einmal Antonia, mit der sie normalerweise viel besprach. Antonia hätte die Sache bestimmt nicht auf sich beruhen lassen. Und die Polizei hatte sich bereits mit Bruno Kleu über die verschwundene Artistin unterhalten, das wusste Trude von Jakob. Sie hatten Bruno nichts beweisen können. Und diesen Zustand würde Bruno sich gewiss nicht von einem wie Ben verderben lassen. So sagte Trude nur: «Ich weiß nicht, was mit ihm los ist. So schlimm wie im Moment war er noch nie.»
Und es wurde noch schlimmer. Aber daran war Jakob schuld. Am letzten Sonntag im September 80 kam Heinz Lukka kurz nach Mittag im Namen der Stadtverwaltung, um Jakob von der Notwendigkeit eines Zaunes für die Apfelwiese zu überzeugen. Ein kleiner Zaun reiche schon, meinte Heinz Lukka. Es sollte nur verhindert werden, dass ein ahnungsloser Spaziergänger in den Sandpütz stürzte. Was die Kosten anging, wollte Heinz Lukka im Baumarkt Wilmrod einen Sonderpreis aushandeln.
«Ich zahle auch keinen Sonderpreis, wenn es nicht nötig ist», erklärte Jakob unwirsch. «Auf meiner Wiese hat keiner was zu suchen. Das ist ein Privatgrundstück. Wenn ich mal einen von den ahnungslosen Spaziergängern erwische, dann gnade ihm Gott. Mein Pütz ist kein Schuttabladeplatz. Meinst du, ich weiß nicht, dass die mir nachts ihren Müll da reinwerfen? Ständig trampeln sie mir das Gras platt.»
Heinz Lukka hielt dagegen, dass Menschenleben kostbarer seien als Gras, und es gebe schließlich auch Kinder in der Nachbarschaft. Jakob solle nur an seinen eigenen Sohn denken, der sich häufig auf
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