Der purpurne Planet
Luftkissen. Da nun die Staubteilchen stärker erwärmt werden als die sie umgebende Luft in der Wolke, wird die chaotische Bewegung verstärkt, was sich im großen als Verstärkung der Turbulenz innerhalb der Wolke äußert. Das ist erwiesen und gemessen, und die Turbulenz reicht aus, die Schwebpflanzen zu tragen.
Es fragt sich jetzt, ob eine elektrische Aufladung der Wolke die Turbulenz herabsetzen kann. Das ist meiner Meinung nach nicht zu erwarten, weil die gleichnamigen Ladungen sich abstoßen und daher das Gebilde nicht zäher, sondern flüssiger wird. Man könnte also im Gegenteil eine Erhöhung der Turbulenz erwarten.“
„Aber warum, zum Donnerwetter, fallen die Dinger dann aus?“ unterbrach Klaus Rudloff sie ungeduldig.
Sibyl streckte die rechte Hand aus. „Erinnere dich an etwas, was wir alle in der Schule gelernt haben: die Rechte-Hand-Regel. Wenn die Wolken aufgeladen sind und sich bewegen, was sie ja ziemlich gleichmäßig entgegen der Rotationsrichtung des Planeten tun, dann stellen sie einen, wenn auch schwachen, elektrischen Strom dar. Hier der Daumen – Richtung des Stroms, der Zeigefinger – Richtung der magnetischen Feldlinien des Planeten, der Mittelfinger gibt dann die Richtung der elektromotorischen Auslenkung an. Wohin zeigt er? Nach unten. Die Wolken, die von unserm Ionenschlauch elektrisch aufgeladen worden sind, werden also nach unten gedrückt. Sie kommen in dichtere Luftschichten, dort wirken die Aschestäubchen als Kondensationskerne für Regen. Die Schwebpflanzen werden einfach mitgenommen.“
Klaus Rudloff setzte sich hin.
„Das klingt ja sehr tröstlich“, sagte er zögernd, und dann entschlossener: „Trotzdem glaub ich das erst, wenn es überprüft ist. Oder wenigstens durchgerechnet.“
Uta sagte jetzt: „Das würde also bedeuten, daß nur die Pflanzen, die in eine solche geladene Wolke geraten, vorzeitig ausgefällt werden. Von den anderen sinken nur die abgestorbenen zu Boden, und sie sollen es ja auch tun, weil wir sie als biologischen Dünger für die nächste Vegetationswelle brauchen.“
„Nehmen wir einmal an“, sagte Sibyl jetzt sehr sicher, „es läge doch an den Pflanzen, sie wären zu schwer geworden oder, was dasselbe bedeutet, hätten an Schwebfähigkeit verloren, dann würden sie sich zunächst im unteren Teil der Wolke sammeln, und ihre Konzentration wäre dort am größten. Jetzt gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder sie werden ebenfalls elektrisch aufgeladen oder nicht.“
Uta wollte etwas sagen, aber Sibyl ließ sich nicht unterbrechen. „Angenommen, sie werden es nicht, dann würden sie allein ausfallen und nur ganz selten einmal ein Aschestäubchen mitreißen. Angenommen, sie sind elektrisch geladen, dann würden sie die Aschestäubchen nach oben drücken. In beiden Fällen wäre also das gleichzeitige Auftreten von Asche und Pflanzen im Regen nicht möglich. Das wird nur erklärbar durch die Kraft, die die gesamte Wolke beeinflußt.“
Klaus Rudloffs Miene hatte sich aufgehellt. „Gut, ich gebe mich geschlagen. Nur zu gern übrigens. Also werde ich jetzt noch einmal im Experiment überprüfen, wie sich Asche plus Ladung auf die Vermehrung auswirken – die Zahl der Pflanzen im Regen beunruhigt mich. Und außerdem – könnte man nicht versuchen, mit dem Satelliten Beobachtungen anzustellen, hm?“
„Kann man“, sagte Uwe.
„Das ist aber noch nicht alles“, warf Sibyl hin.
„Dann weiter!“ meinte Klaus.
„Doch was jetzt kommt, ist nicht mehr biologisch!“ warnte Sibyl scherzhaft.
„Bin ich wirklich so ein Fachidiot?“ fragte Klaus im gleichen Ton und sah sich um. Niemand widersprach ihm.
„Also Spaß beiseite“, meinte Sibyl, „die Sache enthält zugleich eine Lösungsmöglichkeit für ein sehr ernstes Problem, das uns die Zukunft vielleicht bringen wird. Wenn die zusätzliche Abstrahlung der Proxima wieder abklingt, was jetzt schon begonnen hat, die letzten Meßergebnisse deuten darauf hin, dann wird sich auch die seismische Aktivität weiter erhöhen. Wir müssen auf die Möglichkeit gefaßt sein, daß sehr viel Asche in die Atmosphäre geschleudert wird – vielleicht sogar so viel, daß der Wärmehaushalt des Planeten gefährdet wird. In dem Fall müßten wir nicht Jahrhunderte warten, sondern könnten einen großen Teil der Aschewolken ausfällen. Natürlich brauchten wir dann Tausende solcher Kraftwerke – aber die werden wir ja eines Tages sowieso benötigen. Vielleicht wird das sogar ihre Hauptfunktion.“
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