Der purpurne Planet
sie warteten darauf, daß das Triebwerk auskühlte.
„Temperaturen?“ fragte Uwe zum wer weiß wievielten Mal.
„Reflektor hundertzehn Grad Kelvin!“ antwortete Michael.
„Tankreihe A einunddreißig Grad! Tankreihe B dreißig Grad! Tankreihe C neunundzwanzig Grad!“ meldeten die anderen.
Warum kühlt der Reflektor so langsam ab? fragte sich Uwe. Noch konnte man die Innenkühlung nicht einschalten, ohne ihn der Gefahr einer Beschädigung auszusetzen. Und ohne vielleicht zuviel von dem flüssigen Helium zu verbrauchen. Aber bald würden die Tanks den kritischen Punkt erreicht haben, an dem die Umschaltung vorgenommen werden mußte.
„Hundert Grad!“ meldete Michael.
Jetzt könnte man…, dachte Uwe. Aber nein, lieber noch warten. Die Sicherheitsgrenze war gerade erst unterschritten, und der Rückflug hing davon ab, daß der Reflektor intakt blieb. Und die Tanks?
„Tankreihen Achtung!“ befahl er. „Aufheizen um zehn Grad!“
„Aber…“, wollte Erich Braune einwenden.
„Keine Diskussion!“
Nach einigen Minuten meldeten die Tankreihen Vollzug. Fünf Minuten Zeit hab ich noch, überlegte Uwe. Eine Minute laß ich als Reserve, eine Minute braucht die Umschaltung, zwei Minuten das Abkühlen des Reflektors, macht zusammen vier… Er sah zu, wie der Sekundenzeiger mit winzigen Rucken über das Zifferblatt kroch. Er spürte die aufsteigende Unruhe seiner Gefährten. Michael vielleicht ausgenommen, den Erfahrenen, Kaltblütigen…
„Reflektor Achtung! Halbe Kühlung… ein!“
„Ist!“ meldete Michael. „Achtzig Grad – siebzig – sechzig – sechzig –“
„Volle Kühlung!“
„Ist. Fünfzig – vierzig – dreißig – fünfundzwanzig – zweiundzwanzig – zwanzig –“
„Das reicht. Wieviel Zeit noch? Zwei Minuten zwanzig Sekunden. Kühlung aus!“
„Ist!“
„Achtung, Tankreihen! Halbe Kühlung – ein!“
„A ist! B ist! C ist!“
„Umschaltung in eigener Regie!“ befahl Uwe und löste die Gurte, die ihn an seinem Platz festhielten. Er hangelte sich zwischen Erich und Erika und blickte mit ihnen auf ihre Bildschirme, auf denen Diagramme das Verhalten der Tanks der jeweiligen Reihe signalisierten. Auf einen Wink von ihm schwebte Michael zu Irina.
Wieviel Zeit noch bis zum Absetzpunkt? Eine Minute zehn Sekunden. Da, auf Erichs Bildschirm, begann eine Kurve zu flattern! Aber Erich hatte es schon bemerkt, schaltete und drehte vorsichtig und feinfühlig an einem Abstimmknopf. Die Kurve stabilisierte sich wieder, zitterte aber noch.
Die anderen hatten bereits das Ende der Umschaltung gemeldet, und auch in Erichs Reihe waren alle anderen Tanks schon umgeschaltet, nur diese eine Kurve zitterte noch immer.
Wieviel Zeit? Noch dreißig Sekunden. Was tun? Die kinetische Energie der Antistoffteilchen noch weiter herabsetzen!
„Alle Kühlreserven einschalten!“ flüsterte Uwe Erich zu. Erich nickte und schaltete. Die Kurve stand.
Uwe ging ruhig auf seinen Platz und setzte sich. Noch fünf Sekunden. „Achtung, ich lege ab!“
Ein leichter Stoß erschütterte das Raumschiff. Uwe glaubte das Aufatmen der anderen zu hören. „Michael, bring uns auf Kurs!“ befahl er.
Einige Handgriffe, ein leichtes Drehen – und dann spürten alle, wie sie ihr Gewicht wiederbekamen.
Uwe schaltete das Radarbild des geparkten Antriebsteils auf seinen Schirm. „Guckt es euch an“, sagte er, „da schwebt unsere Rückfahrkarte!“
Erich Braune hatte fünf Varianten darüber vorgelegt, was sie auf dem RELAIS erwartete, und Uwe hatte Grund gefunden, die saubere, präzise Arbeit hervorzuheben, die der Planetologe damit geleistet hatte. Die fünf Varianten unterschieden sich zum Teil erheblich, aber einige allgemeine Züge traten bei allen auf.
So war zu erwarten, daß infolge der erhöhten Abstrahlung der Proxima sich Form und Struktur der Ionosphäre des Planeten verändert hatten, wovon wiederum ihre Durchlässigkeit für elektromagnetische Wellen beeinflußt wurde.
Hier konnte auch der Grund dafür liegen, daß die Transportsonden nicht mehr abgerufen wurden. Die Wellenlänge für die Abrufzeichen war selbstverständlich in das ursprüngliche Optimum der Durchlässigkeit gelegt worden, und da dieses Optimum sich verschoben haben mußte, konnte sich der Sender der RELAIS-1-Expedition als zu schwach erwiesen haben, unter den veränderten Verhältnissen die ionosphärische Abschirmung zu durchbrechen.
Anzunehmen war außerdem, daß der verstärkte Plasmasturm des Strahlungsgürtels im Innern
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