Der purpurne Planet
war autogen eingeschlafen, und das bedeutete, daß sie sich völlig sicher fühlte im Kollektiv.
„Wahrscheinlich eine Magnetpolverschiebung, und zwar eine recht erhebliche in der kurzen Zeit von einigen Jahrzehnten!“ verkündete Erich Braune.
„Läßt das schon Schlußfolgerungen zu?“ fragte Michael.
„Noch nicht, aber wenn wir genau wissen, wie weit und wohin der Magnetpol gewandert ist, können wir die Hypothesen über die Verhältnisse auf dem Boden schon präzisieren.“
Eine weitere Viertelstunde verging, ohne daß jemand etwas sagte. Das Raumschiff und etwa hundert Kilometer vor ihm die Sonde jagten durch die Exosphäre des Planeten, und die Insassen beobachteten, maßen, rechneten.
Wieder war es Irina, die das Schweigen brach.
„Die Infrarotstrahlung scheint sich etwas erhöht zu haben, allerdings so wenig, daß… Aber wenn man berücksichtigt, daß wir uns dem Abend nähern, wo sie eigentlich doch abnehmen müßte…“
„Dann könnte man“, führte Erich den Satz fort, „mit einiger Vorsicht annehmen, daß wir die Küstenlinie überschritten haben, daß wir vorhin Meer unter uns hatten und nun Land. Wo wären wir da jetzt?“ Er holte sich den Atlas auf den Bildschirm. „Es ist ja kaum anzunehmen, daß der Magnetpol hundertachtzig Grad um den planetographischen Pol herumgewandert ist. Wir wären also jedenfalls auf der westlichen Hälfte des Koordinatensystems, und dann müßten wir“ – er tippte auf eine Stelle, wo der Äquator die Küste eines Kontinents kreuzte – „hier sein. Hundert Grad westlicher Länge. Wir hätten dann noch etwa zehn Minuten bis zur ersten Vulkangruppe.“
„Erika wecken?“ fragte Uwe knapp.
„Nein“, entschied Irina. „Autogen. Muß von allein aufwachen.“
„Gut“, entschied Uwe.
Die Uhrzeiger schienen immer langsamer zu schleichen. Etwa fünf Minuten mochten vergangen sein, da sagte Uwe: „Ich denke, wir schalten jetzt alle auf Infrarotbild, damit uns nichts entgeht!“
Uwe bemerkte, wie alle erleichtert aufatmeten und sich mit neuem Interesse ihren Pulten zuwandten. Ein paar Schalter klickten, und auf drei Bildschirmen erschien das gleiche trübe, durch nichts unterbrochene Grau, das vorher schon auf Erikas Schirm von Irina beobachtet und gemessen worden war – über ihren eigenen zogen immer noch die Kurven von Erikas EEG.
Irina warf einen Seitenblick darauf. Die Kurven hatten sich normalisiert, es schien alles in Ordnung zu sein. Und plötzlich mußte sie lachen. Es sah eigentlich sehr komisch aus, wie sie hier alle saßen und gebannt, mit gerunzelter Stirn, auf eine unverändert graue Fläche starrten. Aber schnell richtete sie ihren Blick wieder auf den Bildschirm, gerade noch rechtzeitig, denn jetzt erschien auf dem oberen Rand – ja, ganz deutlich – ein heller Punkt.
Keiner wagte jetzt wegzublicken, aber jeder wußte, daß die andern es auch sahen. Langsam, unendlich langsam wanderte der Lichtpunkt abwärts, der Schirmmitte zu. Und da erschien der zweite.
Erich maß den Abstand und rechnete. „Es stimmt genau mit der ersten Vulkankette im Atlas überein!“ sagte er triumphierend. Doch da, in wesentlich kürzerem Abstand, erschien schon der dritte.
Die Blicke wanderten von den Bildschirmen zu den Atlanten und wieder zurück auf die Schirme. Das stimmte nun nicht überein! Das konnte – konnte die zweite Kette sein, aber auch nur beinahe…
Und dann erschien noch ein Lichtpunkt, noch einer, und noch… keine Kette mehr, ein Kranz von Lichtpunkten, Vulkanen also.
Alle starrten bewegungslos auf das Bild. Nur Erich war rastlos tätig, maß, skizzierte, rechnete.
„Ist das nun die erste, zweite oder dritte Vulkangruppe auf dem Äquator?“ fragte Michael schließlich.
„Wenn wir nur davon ausgehen, daß zu den alten zusätzlich neue Vulkane entstanden sind, dann könnte es jede sein“, antwortete Erich sachlich, „oder auch eine ganz neu entstandene. Aber…“ Er verstummte.
Michael blickte Uwe an, aber Uwe schüttelte den Kopf. Nicht stören, hieß das, und Michael verstand.
Irina blickte abwechselnd auf das EEG auf ihrem Bildschirm und auf Erikas Gesicht. Die halbe Stunde war um, jetzt mußte sie erwachen, wenn ihr Zeitgefühl richtig funktionierte.
Uwe bemerkte auch Irinas besorgte Blicke und freute sich wieder, daß Irina sich nicht ablenken ließ durch das Vulkanproblem und daß Erich sich nicht ablenken ließ durch den Zustand seiner Frau und beide sich aus dem gleichen Grund so verhielten: weil sie die Sache in
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