Der Rabbi schoss am Donnerstag
wie mit diesem Anruf heute Abend. Das kann ziemlich wichtig sein, jemanden in der Bank zu haben, auf den man sich verlassen kann. Ich möchte ihr also beweisen …»
Laura senkte den Blick auf das Strickzeug in ihrem Schoß. «Findest du sie hübsch?»
Sofort war er auf der Hut. «Nun ja, eine Schönheit ist sie nicht, aber doch, ich finde sie recht niedlich. Sie ist eifrig und lebendig und frisch …»
«Frech, meinst du wohl! Lillian Allen hat mir erzählt, dass sie zu der Gruppe gehörte, die beim Rabbi war, und dass sie sich ihm gegenüber ziemlich herausfordernd benommen hat.»
«Ach, Lillian Allen! Was hat sie gesagt?»
«Dass Molly erklärt hat, die ganze jüdische Religion sei sexistisch, und dass sie den Rabbi praktisch als männliches Chauvinistenschwein bezeichnet hat.»
«Wirklich?» Er kicherte. «Also, so hätte ich ihn nun wirklich nicht gesehen. Ich halte ihn mehr für einen weichlichen Typ. Ich meine, ein richtiger Mann wäre doch niemals Rabbi geworden, um sein ganzes Leben mit Beten zu verbringen. Ich kenne diese Burschen. Man könnte meinen, sie würden kein Wässerchen trüben, aber auf ihre eigene, ganz stille Art werfen sie dann Sand ins Getriebe. Erwarte also nicht von mir, dass ich mich aufrege, weil Molly Mandell ihm die Leviten gelesen hat. Das werde ich selbst auch einmal tun, wenn er mir in die Quere kommt. Die Synagoge gehört den Gemeindemitgliedern, und unsere Mitglieder haben mich und den Vorstand gewählt, damit wir die Geschäfte führen. Der Rabbi ist lediglich ein Angestellter, der seine Pflichten zu erfüllen hat, und je eher er das einsieht, umso besser. Also, wirst du nun Molly Mandell anrufen und sie einladen, oder nicht?»
«Wenn du unbedingt darauf bestehst …»
Er wurde puterrot im Gesicht, und seine Augen traten fast aus den Höhlen. «Verdammt nochmal, ja! Ich bestehe darauf!»
9
Ellsworth Jordon ging unruhig im Wohnzimmer seines alten viktorianischen Hauses auf und ab und sah jedes Mal finster auf die Uhr, wenn er am Kaminsims vorüberkam. Billy war noch immer nicht zu Hause, und er machte sich Sorgen. Und ärgerte sich darüber, dass er sich Sorgen machte. Als er ihn endlich die lange Einfahrt heraufhasten sah, war der Ärger über sich selbst zu Zorn auf den jungen Mann geworden.
«Wo hast du so lange gesteckt?», fuhr er ihn an. «Deine Bürozeit ist längst vorbei.»
Billy zeigte sich zerknirscht. «Tut mir Leid, Sir. Ich habe den Bus verpasst und wollte lieber zu Fuß gehen, als auf den nächsten warten. Es war so schön draußen.»
«Weißt du nicht, dass Martha heute Abend eine Verabredung hat und zeitiger gehen muss? Sie hat es uns heute Morgen gesagt.»
«Ach, das hatte ich ganz vergessen.»
«Und ich muss gleich zum Agathon .»
«Tut mir wirklich Leid. Aber Martha kann ruhig schon gehen. Ich spüle nachher das Geschirr.»
«Nun ja, wir werden sehen. Jetzt wasch dich, und dann wollen wir Martha nicht länger warten lassen.»
Sie aßen schweigend. Normalerweise hätte Billy von seinem Tag in der Bank erzählt, da er jedoch so unwirsch empfangen worden war, hatte er keine Lust zum Reden. Jordon warf dem Jungen hier und da einen verstohlenen Blick zu und wunderte sich über diese Verstocktheit. Gewiss, er hatte ihm Vorwürfe gemacht, weil er zu spät gekommen war, aber das war sein gutes Recht – und seine Pflicht. Doch als er ihm aufgetragen hatte, sich waschen zu gehen, hätte Billy merken müssen, dass damit Erklärung und Entschuldigung akzeptiert worden waren. Warum also sagte er nichts? Erwartete er vielleicht, dass er, der um so vieles ältere, den ersten Schritt machte?
Obwohl er weiterhin finster auf seinen Teller blickte, überlegte sich Jordon nach einer Weile philosophisch, dass jungen Leuten von Natur aus die Feinfühligkeit fehlte, dass Billy sich in den paar Monaten, die er jetzt hier war, sehr gut eingelebt hatte, und dass er an den Abenden und Wochenenden, die sie zusammen verbrachten, ein guter Gesellschafter gewesen war, wenn auch auf eine linkische, unbeholfene Art, wie man sie bei jungen Männern erwarten konnte. Gewiss, der Bengel war unhöflich und unsicher, aber das waren vermutlich alle in seinem Alter. Er sah einem nicht in die Augen, er hielt sich krumm und kleidete sich nachlässig. Die Brille rutschte ihm ständig auf die Nase, und einer der Bügel war mit einem Stück Draht repariert. Andererseits war er gehorsam, sogar fügsam, und hatte Gott sei Dank keine Pickel im Gesicht. Außerdem – ein absolutes Plus –
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