Der Rabbi schoss am Donnerstag
die ihm diese Situation zu erfordern schien, den Kranken zu versichern, sie sähen gut aus, während das in Wirklichkeit nicht der Fall war. Obwohl er Mitgefühl für sie aufbrachte, wenn sie von ihren Leiden und Schmerzen erzählten, wurde er jedes Mal ungeduldig, wenn sie dann anfingen, ihre damit verbundenen Beschwerden aufzuzählen: über den Arzt, der kein Interesse für ihren Fall hatte, über die Krankenschwester, die nachlässig war, über die Mitglieder ihrer Familie, die überhaupt keine Rücksicht nahmen.
Und der unangenehmste Punkt auf seinem Terminkalender war immer der allwöchentliche Besuch bei Mrs. Mandell. Im Gegensatz zu den anderen Kranken, die im Bett lagen oder, wenn sie sich hinsetzen durften, Pyjama und Bademantel trugen, kam sie jedes Mal voll angekleidet, das graue Haar gekämmt, gebürstet und zartlila getönt, ins Wohnzimmer herunter. Sie war eine große, füllige Frau mit rundem Gesicht, das keinerlei Anzeichen von Krankheit verriet. Wenn er bemerkte, sie sähe gut aus, lächelte sie traurig und schüttelte den Kopf. «Jetzt vielleicht», entgegnete sie dann, «aber Sie hätten mich heute Nacht sehen sollen, als ich meinen Anfall hatte. Da hab ich gedacht, mein letztes Stündlein sei gekommen.»
Doch dies war keiner seiner regulären Besuche. Es sei ein Notfall, hatte sie gesagt. Deswegen war er ein wenig aufgebracht, als es aussah, als nähme alles seinen gewohnten Verlauf. «Ich habe die ganze Nacht kein Auge zugetan, Rabbi», klagte sie.
«Aber wie Sie immer sagen, ist das doch nichts Ungewöhnliches bei Ihnen. Gibt es einen besonderen Grund, warum Sie mich ausgerechnet heute sprechen wollten? Hatte das nicht Zeit bis morgen?»
«Nein, denn morgen wären DIE BEIDEN wieder hier. Heute sind DIE BEIDEN weggefahren, Freunde besuchen, und kommen erst am Abend wieder zurück.»
Bei seinen früheren Besuchen hatte er erfahren, dass in ihrem Sprachgebrauch ihr Sohn immer ‹mein Herbie›, ihre Schwiegertochter ‹SIE› und Sohn und Schwiegertochter zusammen DIE BEIDEN waren.
«Und?»
«Also, Rabbi, ich muss zunächst einmal gestehen, dass ich dagegen war, als mein Herbie heiraten wollte.»
Seine Lippen zuckten, aber er erwiderte ruhig: «Waren Sie gegen die Heirat als Institution oder gegen das Mädchen, das er sich ausgesucht hatte?»
«Nun, ich fand, er sollte lieber noch ein bisschen warten.»
«Aber er ist ein erwachsener Mann. Er ist über dreißig.»
«Er war damals sechsunddreißig. Jetzt ist er achtunddreißig. Nachdem er also so lange gewartet hatte, meinte ich, er könnte noch ein bisschen länger warten, bis das richtige Mädchen kam. Ich fand, sie war nicht die Richtige für ihn.» Betrübt schüttelte Mrs. Mandell den Kopf. «Sie behauptet, dreißig zu sein, aber ich glaube eher, dass sie zwei- oder dreiunddreißig ist. Für eine Frau ist das gar nicht mehr so jung. Mein Herbie ist groß und sieht gut aus. Er hätte so viele Mädchen haben können, wie er wollte …»
«Aber er hat dieses gewählt», sagte der Rabbi mahnend.
«Wirklich, Rabbi? Oder hat SIE ihn gewählt?»
Er lächelte. «Das kommt letztlich auf dasselbe heraus, nicht wahr? Die beiden sind doch glücklich, oder? Das ist die Hauptsache.»
«Na ja, ich glaube schon, dass SIE glücklich ist.»
«Und er nicht?», erkundigte sich der Rabbi lächelnd.
«Wie könnte er? SIE hat einen … einen Putzlumpen aus ihm gemacht. Nur weil er ein bisschen früher nach Hause kommt, muss er das Abendessen machen und den Tisch decken. Und hinterher muss er ihr beim Geschirrspülen helfen. SIE beherrscht ihn ganz und gar. Und SIE knutscht mit ihm – vor meinen Augen!»
Der Rabbi riss die Augen auf.
«Ich meine, SIE küsst und streichelt ihn wie ein Kätzchen. Ist das eine Art, sich zu benehmen, für eine verheiratete Frau?»
«Es beweist doch nur, dass sie ihn liebt, nicht wahr?»
«Wirklich, Rabbi? Oder beweist es einfach, dass SIE die Männer liebt?»
«Was wollen Sie damit sagen, Mrs. Mandell?», fragte der Rabbi kalt.
Doch Mrs. Mandell ließ sich davon nicht abschrecken. «Gestern Abend musste mein Herbie zur Synagoge.»
«Ich weiß. Er war Aussschussvorsitzender.»
«Also, nun darf ich abends nicht allein bleiben. Weil nämlich die Gefahr besteht …»
«Ja, ja. Sie haben es mir erklärt.»
«Wenn DIE BEIDEN also gemeinsam wegfahren, sorgt mein Herbie dafür, dass eine Frau kommt und bei mir bleibt.» Sie lächelte ironisch. «Mutter-Sitter nennt er es.» Mrs. Mandell senkte die Stimme. «Gestern
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