Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Rabbi schoss am Donnerstag

Der Rabbi schoss am Donnerstag

Titel: Der Rabbi schoss am Donnerstag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Kemelman
Vom Netzwerk:
…»
    «Kommt das nicht auf den Vater an?»
    «Nein, bei uns auf die Mutter», antwortete der Rabbi.
    «Kennen Sie den Vater?»
    Der Rabbi schüttelte den Kopf.
    Lanigan lächelte. «Und wenn ich Ihnen nun sagen würde, es war Ellsworth Jordon?»
    Wenn er erwartet hatte, den Rabbi mit dieser Mitteilung erschüttern zu können, wurde er jetzt enttäuscht. «Deswegen wohnte er also bei ihm! Es wundert mich nicht im Geringsten.»
    «Vielleicht erklärt das auch Jordons Antisemitismus», sinnierte Lanigan. «Ich meine, wenn er diese Hester Grimes oder Esther Green sehr geliebt und sie ihn abgewiesen hat …»
    «Andererseits», wandte der Rabbi ein, «hat sie ihn vielleicht abgewiesen, weil er Antisemit war.»
    «Auch möglich», gab Lanigan zu. «Es interessiert Sie vielleicht, zu hören, dass Jordon Billy zu seinem Erben machen wollte.»
    «Hat Ihnen der junge Mann das gesagt?»
    «Nein, ich hab’s von Jordon’s Anwalt. Laut Billy war Jordon nichts weiter als ein alter Freund der Familie. Entweder weiß er nicht, dass Jordon sein Vater war, oder er will es nicht sagen.» Er musterte den Rabbi nachdenklich. «Wenn Sie ihn sehen, werden Sie es ihm mitteilen?»
    Mit unbewegtem Gesicht fragte der Rabbi zurück: «Soll das heißen, Sie möchten, dass ich es ihm sage?»
    Lanigan gab sich unbeteiligt. «Es könnte ganz interessant sein.»
    Lächelnd schüttelte der Rabbi den Kopf. «Das muss seine Mutter tun, falls sie es will. Wenn sie es all diese Jahre lang geheim gehalten hat, wird sie schon ihre Gründe gehabt haben, und dann kann ich mich nicht einmischen. Nein, ich möchte nur mit ihm sprechen.»
    «Warum?»
    «Weil das meine Aufgabe ist», antwortete der Rabbi prompt. «Er ist allein, hat keine Familie und keine Freunde, und er hat Probleme. Ich …»
    «Wie kommen Sie darauf, dass er Probleme hat? Er steht nicht unter Anklage.»
    «Weil Sie sagten, es gebe keine Beweise gegen ihn. Das lässt darauf schließen, dass er zu den Verdächtigen gehört. Und obwohl Sie keine Beweise haben, suchen Sie wahrscheinlich danach und …»
    «Wir suchen nach allen möglichen Beweisen», wandte Lanigan ein. «Ganz gleich, auf wen sie hindeuten.»
    «Gewiss, und wenn Sie welche finden, die auf ihn hindeuten, wird der District Attorney Anklage gegen ihn erheben, und da es sich um einen Mordfall handelt, muss er ins Gefängnis, während sein Pflichtverteidiger, ein überarbeiteter Mann, immer wieder Aufschub erwirkt, um Zeit für die Ausarbeitung der Verteidigungsstrategie zu gewinnen. Und die ganze Zeit sitzt der Junge hinter Gittern. Ich bitte lediglich um die Möglichkeit, mit ihm zu sprechen und ihn kennen zu lernen. Nein, mehr noch, damit er mich kennen lernt, sodass er, falls etwas passiert, sich an mich und durch mich an die jüdische Gemeinde wenden kann. Was finden Sie so schlimm daran? Also, wie und wo kann ich mir ein Motorboot leihen?»
    «Ach was, verdammt! Ich lasse Sie mit dem Polizeiboot rüberbringen.»

37
    «Ich glaube, ich habe bisher noch nie einen Rabbi gesehen», sagte Billy. Und dann, ein wenig besorgt: «Sind Sie gekommen, um für mich zu beten?»
    Sie saßen auf der Veranda vor einer der Lagerhütten. Billy hockte auf der obersten Stufe, an den Stützpfeiler gelehnt, in einem schmutzigen Overall, der ihm mehrere Nummern zu groß war, und der Rabbi saß auf dem Geländer, den Mantelkragen gegen den frischen Wind vom Wasser her hochgeschlagen.
    «Das hatte ich eigentlich nicht vor.» Rabbi Small blickte zu dem kleinen Anlegesteg hinüber, gegen den das Motorboot der Hafenpolizei bei jeder Welle schlug. Der Polizist, der ihn hergefahren hatte – in dickem Rollkragenpullover statt in der Uniformbluse – lag lang auf dem Steg, die Mütze auf dem Gesicht, und genoss die warme Nachmittagssonne. Jetzt rollte er sich herum und winkte dem Rabbi zu, der freundlich zurückwinkte. Dann wandte er sich wieder dem jungen Mann zu. «Natürlich, wenn Sie gern möchten, dass ich …»
    «Nein, nein! Ich meine, es ist mir gleich.» Und damit es nicht undankbar klang, ergänzte er: «Ich meine, wenn Sie hierher gekommen wären, um für mich zu beten, dann hieße das, dass ich in der Tinte säße, nicht wahr? Tue ich das?»
    «Das weiß ich nicht», antwortete der Rabbi. «Ich bin gekommen, weil ich hörte, dass Sie Jude sind, und weil ich der Rabbi in dieser Stadt bin.»
    «Ja, aber so ein Jude bin ich nicht.»
    «Nein? Was für einer denn?»
    «Nun ja, ich bin nur Jude, weil meine Mutter Jüdin ist. Sie wissen schon, weil

Weitere Kostenlose Bücher