Der Rabbi
Dame und der Modulationsfähigkeit ihres Soprans. Zwei Tage vergingen mit Einkäufen für ihren persönlichen Bedarf. Sie kaufte aber nur, was sie wirklich brauchte, und bewunderte alles andere nur in den Auslagen. Sie kaufte bei Lord & Taylor einen Tweedrock für Rachel, und einen dicken blauen Kaschmirpullover für Max bei Weber & Heilbroner.
Aber am Abend ging eine Veränderung mit ihr vor. Sie fand keinen Schlaf mehr und fühlte sich inmitten dieser vier Hotelzimmerwände recht elend. Nun war sie schon den sechsten Tag hier und hatte, wenn auch vielleicht ohne es zu wissen, genug von New York. Zu allem anderen war nun auch noch das Lustgekeuche der »Flitterwöchner«
verstummt: sie waren ausgezogen und hatten sie allein zurückgelassen.
An ihrer Statt wohnte jetzt jemand da drüben, der fortwährend die Wasserspülung betätigte, einen Elektrorasierer benutzte und das Fernsehen sehr laut drehte.
Gegen Morgen begann es zu regnen; Leslie blieb länger als gewöhnlich im Bett und döste vor sich hin, bis der Hunger sie aufstehen hieß. Den ganzen regennassen Nachmittag verbrachte sie dann bei Ronald's, einem Schönheitssalon mit dem Anstrich eines ehrbaren Playboyklubs in der Nähe von Columbus Circle, wo die Kunden in buntflauschiger Vermummung von der Sauna zur Massage und von dieser zum Friseur wanderten. Sie briet bei 190 Grad Fahrenheit zur Musik der Boston Pops, die »Fiddle-Faddle« spielten, und geriet dann einem sadistischen Weibsbild unter die Fäuste, von der sie nach allen Regeln der Kunst durchgewalkt und -geknetet wurde. Ein Mädchen, das man Theresa rief, machte ihr eine Kopfwäsche, und während die rosige Gesichtscreme in ihre Poren drang, wurde Leslie von einer Helene manikürt und gleichzeitig von einer Doris pedikürt.
Als sie den Salon verließ, hatte der Regen nachgelassen. Er war zum feinen Nieseln geworden, fast schon wie Nebel. Die Broadwaylichter spiegelten sich flirrend in den vorbeifahrenden Autos und der nassen Fahrbahn. Leslie spannte den Schirm auf und wandte sich stadtwärts. Sie fühlte sich erholt und verschönt, und das einzig Wichtige war jetzt, irgendwo zu Abend zu essen. Es verlangte sie nach einem luxuriösen Restaurant - aber dann änderte sie ihren Sinn, und es war ihr plötzlich zu dumm, sich erst umständlich an einen endlich freigewordenen Platz komplimentieren zu lassen, dort ein kompliziertes Mahl zu bestellen, und das alles nur, um es dann allein aufzuessen. So blieb sie unter einer flimmernden Neonreklame stehen, spähte durch die verregneten Scheiben in das Lokal, wo irgendein Talmi-Küchenchef in hoher weißer Mütze soeben dabei war, einen gelben Omelettenberg in einer Pfanne aufzuschichten, und wurde sich nicht schlüssig. Dann ging sie doch noch einen halben Block weiter und betrat ein Horn & Hardarts-Lokal.
Sie wechselte eine Dollarnote gegen eine Handvoll Kleingeld und wählte dann eine Gemüseplatte, Tomatensaft, Parker-House-Gebäck und Fruchtgelee. Die Cafeteria war überlaufen, und Leslie mußte lange suchen, ehe sie einen freien Platz fand. Der andere Gast war ein dicker Mann mit vergnügtem Stubby-Kaye-Gesicht, der über seinem Kaffee in die Daily News vertieft war, wobei ihm die vollgepfropfte Aktentasche an den Beinen lehnte. Sie stellte ihre Teller auf den Tisch und das leere Tablett auf einen eben vorbeikommenden Servierwagen. Zu spät merkte sie, daß sie den Kaffee vergessen hatte. Aber der Kaffeeautomat stand ganz in der Nähe, und sie hatte nur wenige Schritte zu gehen. Die Tasse war ihr etwas zu voll geraten, und sie mußte sie sehr vorsichtig an ihren Tisch tragen.
Während ihrer Abwesenheit hatte jemand ein Flugblatt an ihr Juiceglas gelehnt.
Sie griff danach und las den hektographierten Titel. Er lautete: DER
WAHRE FEIND.
Während sie an ihrem Tomatensaft nippte, begann sie zu lesen. »Der wahre Feind Amerikas ist gegenwärtig jene jüdisch-kommunistische Verschwörung, die uns unterwerfen will, indem sie das Blut unserer weißen christlichen Rasse mit dem minderwertigen der kannibalischen Schwarzen zu verseuchen sucht.
Lang genug haben die Juden unser Geld-und Propagandawesen mit Hilfe ihrer internationalen Kartellmachinationen kontrolliert. Nun richtet sich ihre Heimtücke auf das Erziehungswesen, um die zarten Herzen unserer Kinder zu vergiften. Was wollen wir für unsere Kinder?
Ist dir bekannt, wie viele Kommunistenschweine schon in Manhattans Schulen unterrichten?«
Leslie ließ das Machwerk auf den Tisch fallen.
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