Der Raben Speise
blieb ich, wo ich war, und beschränkte mich zunächst auf die Rolle des Beobachters. Und die fiel mir hier wahrlich schwer genug. Denn hatten auch mehr Männer im Kampf durch mich diese Welt verlassen müssen, als ein jeder von Euch Finger an der Hand hat, so ist es doch etwas gänzlich anderes, dabei zuzusehen, wie ein hilfloses Wesen langsam zu Tode gequält wird. So aber wurde mir wieder der Hals eng und ein saurer Geschmack stieg darin auf, mein Herz klopfte lauter als sonst und es pochte in meinen Schläfen. In solchen Situationen musste ich regelmäßig härter mit mir ringen als mit so manchem Gegner, um die nötige Aufmerksamkeit für das Gelingen meines Auftrags zu erlangen und meine übliche Kaltblütigkeit wiederzugewinnen.
Ich hörte ein Gemurmel, das ich nicht verstehen konnte, und der lange Kerl, der das Marterinstrument bediente und mir merkwürdig bekannt vorkam, lockerte die Spannung des Stricks ein wenig. Allerdings ziemlich widerwillig, wie mir schien. Dann trat der Mann ins Bild, der hier die Befehle gab.
Zuerst sah ich ihn nur von hinten. Er trug das bunte und federnbesetzte Gewand eines Spielmanns. Passend dazu hing ihm eine Laute über die Schulter und in seinem Gürtel steckten verschieden große Flöten. Doch als ich seine gichtknotigen Hände gewahrte, beschlichen mich arge Zweifel, ob er damit seine Instrumente überhaupt würde bedienen können. Er redete zwar so leise, dass ich nichts verstehen konnte, aber so energisch auf seinen Kumpan ein, dass sein Kopf dabei ruckte und die Schellen an seiner vielzipfligen Kappe zu tanzen begannen. Doch, oh Wunder, sie klangen nicht, blieben stumm wie die Fische. Auch wenn er sich selbst bewegte, war dies mehr ein Gleiten als ein Auftreten.
Fürwahr ein seltsames Exemplar von einem fahrenden Musikanten, bei dem alles darauf angelegt war, jeden Laut zu vermeiden. Dieser Mann war sicherlich nicht der, als der er erscheinen wollte.
Zum Glück wurde die Befragung nun in einem etwas lauteren Ton geführt, sodass ich einige Gesprächsfetzen auffangen konnte.
»... von Köln ... wahrhaft enorme Summe ... den Bischof betrügen und das Geld selber ... nicht meine Entscheidung mit der Familie ...«
Endlich trat auch der Bunte hinter Wullenweber und gestattete mir so, einen Blick auf sein Gesicht zu werfen. Es war alt, sehr alt sogar, die Haut so straff über seinen Schädel gespannt, wie man es sonst nur von einer Moorleiche kennt. Und dennoch brannte in seinen Augen ein Feuer, das keinen Zweifel daran ließ, dass man es hier mit einem von seiner Mission Beseelten, einem erfahrenen und klugen Kämpfer zu tun hatte. Freiwillig hätte ich mir diesen unheimlichen Kerl nicht als Gegner aussuchen mögen.
Er flüsterte etwas in das Ohr des Gemarterten, der sehr zu meinem Ärger in derselben Lautstärke erwiderte und heftig den Kopf zu schütteln versuchte, woraufhin der Lange mit dem Knebelstock eine weitere Umdrehung vollführte. Der Laut, den Wullenweber nun von sich gab, übertraf seine vorherigen Schreie an Unmenschlichkeit und Qual bei weitem. Dann sackte er in seiner Fesselung zusammen und sein Kopf fiel auf den Tisch.
Das anschließende Gemurmel und die Zeichen des Spielmanns deutete ich so, dass man eine Pause einlegen und essen wollte, während man darauf wartete, dass das Opfer wieder zu sich kam. Jedenfalls holte der Lange auf einen Wink zwei Löffel von einem Regal und einen kleinen Kessel, der unter einem Rauchfang auf kleiner Flamme vor sich hin geköchelt hatte, auf den Tisch. Als sie ihn ohne jede Gemütsregung neben Wullenwebers vornüber gebeugten Körper gestellt und sich daraus bedient hatten, roch ich Erbsen, Speck und Fisch.
Dann roch ich mein eigenes Blut und die feuchte Erde, denn mir wurde so fürchterlich über den Schädel gehauen, dass ich mit dem Gesicht zuerst gegen die Hauswand und sodann zu Boden geschleudert wurde. Ich hatte keine Zeit mehr, meine mangelnde Vorsicht zu beklagen oder um Hilfe zu rufen, geschweige denn mich zur Wehr zu setzen. Ich konnte gerade noch durch den Matsch in meinem Gesicht verinnerlichen, dass sich mein Körper noch auf der Welt befand, die wir Erde nennen. Mein Geist aber verließ sie in diesem Moment auf unbestimmte Zeit.
Ich betrat ein unwirkliches Universum, in dem es kein Oben und Unten, kein Links und Rechts gab. Alles drehte sich, alles wirbelte durcheinander. Feuer loderten hier und da auf, Wullenweber grimassierte, schrie und wand sich, von konturenlosen Schemen gepeinigt, blutige Zeichen
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