Der Rache dunkle Saat - Booth, S: Rache dunkle Saat - One Last Breath
auf die andere Seite helfen sollte. Außerdem war er sich sicher, dass diejenige dann zu dem Schluss käme, dass sie sich auf der falschen Seite befand, und darauf bestünde, zurückgetragen zu werden.
»Keine Sorge, ihr beiden«, sagte er, »in ein bis zwei Tagen ist sie wieder weg.« Doch dafür erntete er nur einen verächtlichen Blick in Stereo.
Wie jemand, der von quälenden Zahnschmerzen geplagt wird, rekonstruierte Cooper in Gedanken immer wieder den Mord an Carol Proctor. Auch als er an diesem Morgen in die Stadt fuhr, zerbrach er sich den Kopf darüber. Er hatte das Gefühl, dass irgendetwas an seinem Bild von den Ereignissen im Haus der Quinns im Oktober 1990 nicht stimmte, konnte aber nicht genau ausmachen, was es war.
Und noch etwas ließ ihm keine Ruhe: die beklemmende Zeitspanne zwischen Sergeant Joe Coopers Rückkehr ins Haus und dem Eintreffen der Truppe, die er in seiner Aussage als »Spezialeinheit« bezeichnet hatte.
Als Cooper bei der Kriminalpolizei angefangen hatte, gab es einen älteren Kollegen, der mit Vorliebe Ratschläge gab. Er hatte jede Gelegenheit genutzt, um sich vertraulich über den Schreibtisch zu beugen, wobei die unteren Knöpfe seines Hemdes über seinem Bierbauch aufplatzten und seine nikotingelben Finger Coopers Schulter tätschelten. Cooper konnte sich noch immer an die Reaktion des Detective Constables auf eine besonders naive Bemerkung seinerseits erinnern, was die »Vorschriften« betraf.
»Niemand bittet einen, gegen die Vorschriften zu verstoßen, mein Junge«, hatte er gesagt. »Gute Polizeiarbeit hat nichts mit dem Verstoß gegen Vorschriften zu tun. Es geht darum, Möglichkeiten zu finden, wie man die Hürden umgehen kann, die sie uns in den Weg stellen. Legale Möglichkeiten, verstehen Sie? Dagegen kann niemand etwas sagen.«
Cooper bekam nach wie vor ähnliche Dinge zu hören. Und seltsamerweise schienen dabei immer »andere« im Hintergrund zu sein.
Selbstverständlich gab es für alles Vorschriften, wenn man sich dafür entschied, sich nach ihnen zu richten. Die Vorschriften sagten einem zum Beispiel, was zu tun war, wenn eine Leiche gefunden wurde. Unabhängig von den Umständen hatte sich der erste Polizist vor Ort davon zu überzeugen, ob das Opfer tatsächlich tot war. Falls ein mutmaßlicher Täter anwesend war, musste eine Festnahme durchgeführt werden. Es galt, Informationen zu sammeln und Maßnahmen zur Beweissicherung zu ergreifen. Nach dem Eintreffen ranghöherer Polizisten änderte sich die Befehlskette natürlich, doch im Anfangsstadium trug der erste Polizist vor Ort eine große Verantwortung.
Und kein Schauplatz eines plötzlichen Todes war schön. Die Menge an Blut konnte so überwältigend sein, dass sie alles andere aus den Gedanken verdrängte. Manche Polizisten wurden zu Hobby-Pathologen. Sie verfügten über detaillierte
Kenntnisse der biologischen Prozesse beim Sterben, die sie sich angeeignet hatten, indem sie an Tatorten und bei Obduktionen zugegen gewesen waren, doch keiner von ihnen konnte behaupten, niemals einen Fehler am Schauplatz eines Verbrechens gemacht zu haben. Fehler zu machen gehörte zur Natur des Menschen. Das war etwas völlig anderes, als absichtlich gegen Vorschriften zu verstoßen.
Als Cooper im Büro ankam, wartete einiges darauf, erledigt zu werden. Doch er griff als Erstes zu den Protokollen der Verhöre von Mansell Quinn im Oktober 1990. Zwei Kriminalpolizisten, ein Inspector und ein Sergeant, deren Namen Cooper nichts sagten, hatten die meisten Gespräche mit Quinn geführt. Detective Constable Hitchens erschien ein paar Mal in den Protokollen, hatte aber offenbar nicht viele Fragen gestellt. Er war damals vermutlich noch zu unerfahren gewesen und hatte die Kniffe für ein derart wichtiges Ermittlungsverfahren erst noch lernen müssen.
»Sie haben vor ein paar Jahren einige Zeit bei der Armee verbracht«, hatte der Detective Sergeant gesagt.
»Ich hab mich zusammen mit Will Thorpe bei den Foresters verpflichtet. Er war damals fast noch ein Junge, und das Leben in Derbyshire hat ihn ein bisschen gelangweilt.«
»Aber was ist mit Ihnen? Sie hatten doch damals schon eine Familie, nicht wahr?«
»Die Zeiten waren schlecht«, erwiderte Quinn. »Die Baufirma, für die ich arbeitete, war auf Aufträge der Stahlwerke in Sheffield angewiesen. Aber mit der Stahlindustrie ging es den Bach runter, und es kamen keine Aufträge mehr rein, deshalb wurde ich entlassen. Sonst gab es in dieser Gegend nicht viele
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