Der Rache Suesser Klang
erwartet, und nun ist dieser Arzt tot. Meine Assistentin hat heute das Jugendamt angerufen, damit jemand Ihren Sohn holen kommt, und nun ist die Sozialarbeiterin tot und meine Assistentin weg.« Ihre Stimme zitterte, und sie räusperte sich wütend, bis sie sich wieder unter Kontrolle hatte. »Wir haben alles getan, was wir normalerweise tun.«
»Aber hier geht es nicht um eine normale Situation«, beendete Clay freundlich die Überlegung, und Dana bedachte ihn mit einem anerkennenden Blick. »Miss Dupinsky, Sie sind nämlich die Einzige hier, die ihr Gesicht gesehen hat. Können Sie uns irgendetwas sagen, das auch hilfreich sein kann?«
»Ich habe dem Zeichner bei der Polizei eine Beschreibung gegeben. Ethan hat das Bild.« Sie blickte über ihre Schulter auf und sah, dass Ethan die Skizze bereits hervorgeholt hatte. Sie wandte sich wieder Clay zu. »Sie hat eine Tätowierung auf der rechten Schulter, ungefähr sieben mal zehn Zentimeter groß. Ich habe sie aber nie ganz gesehen. Außerdem habe ich Narben auf ihren Armen entdeckt. Sie muss sich vor lange Zeit selbst Schnitte zugefügt haben, was mich überhaupt erst darauf gebracht hat, dass mit ihr etwas nicht stimmt. Aber das, was am auffälligsten an ihr war …« Sie brach ab und rieb sich die Arme, die erneut von einer Gänsehaut überzogen waren. »Sie hatte unheimliche Augen. Ein sehr, sehr helles Blau. Beinahe durchscheinend.«
Ethan hielt das Bild Clay hin, der es sich ansah, bevor er es an Stan Vaughn weitergab. Stan hatte noch kein Wort gesagt, seit Dana und Ethan das Zimmer betreten hatten.
»Und?«, fragte Clay, aber Stan schüttelte den Kopf. Traurig, dachte Dana.
»Ich habe sie noch nie zuvor gesehen«, sagte er ruhig und reichte die Zeichnung an seine Frau weiter.
Dana seufzte. »Sie hat Ihren Sohn nicht Alec genannt. Sie sagte …«
»Erik«, flüsterte Randi. »Sie hat ihn Erik genannt.«
Ethans Hände fassten Danas Schultern fester, als alle Köpfe zu Randi herumfuhren. Das Gesicht der Frau war so bleich, dass Dana glaubte, sie würde gleich ohnmächtig werden. Das Blatt in ihren Händen zitterte heftig.
»Woher weißt du das, Randi?«, fragte Ethan leise.
Randi Vaughn schaute auf. Ihre Augen waren weit und wild und voller Entsetzen. Nichts Giftiges oder Hasserfülltes war mehr darin zu sehen. Nur noch Schrecken. »Weil er so heißt.«
Dana wandte sich um und schaute zu Ethan auf, nur um festzustellen, dass er genauso schockiert war wie alle anderen auch. Randi legte die Zeichnung vorsichtig zur Seite, und tiefes Schweigen legte sich über sie.
Randi faltete die Hände im Schoß. »Weil sie seine Mutter ist.«
Chicago
Mittwoch, 4. August, 18.15 Uhr
J ane setzte sich auf die Kante des Motelbetts, das schwarze Metall ihrer Pistole im krassen Gegensatz zum Rostrot der Überdecke. »Ich bin extrem verärgert. Fessel ihn fester, oder ich bringe dich um.«
Evie warf Jane einen knappen Blick aus dem Augenwinkel zu, während sie sich bemühte, Eriks Hände mit einem Band zusammenzubinden. Jane sah in der Tat extrem verärgert aus. Aber es war eine seltsame Beschreibung für eine Frau, die vor ihren Augen eine andere erschossen hatte. »Ich fessel ihn, so fest ich kann«, sagte Evie möglichst ruhig. »Aber meine Hand ist behindert.«
»Ach ja.« Jane lächelte und wirkte dabei wirklich amüsiert. »Dein Zusammenstoß mit einem anderen Killer vor ein paar Jahren. Du hast wirklich Pech, Evie.«
»Tja, das kann man wohl sagen«, murmelte Evie. Sie strich Erik übers Haar. »Es tut mir leid«, formulierte sie lautlos in der Hoffnung, er würde es verstehen. Er blinzelte. Zweimal hintereinander, langsam. Erik schien mehr zu verstehen, als Evie anfangs geglaubt hatte. Sie dachte an seinen Gesichtsausdruck, als sie ihn aus der schützenden Umarmung freigegeben hatte, nachdem Jane Sandy erschossen hatte. Seine Miene hatte grimmige Akzeptanz ausgedrückt, als sei dies nicht die erste Leiche, die er gesehen hatte. »Warum, Jane?«
Jane zog eine Braue hoch. »Warum ich dich und das Kind entführt habe?«
Evie war ruhiger, als sie es von sich selbst erwartet hätte. Zwei Jahre zuvor hatte sie um ihr Leben gefleht, ohne dass es etwas genützt hatte. Rob Winters hatte sie mit dem Messer malträtiert, sie vergewaltigt, gewürgt und einfach liegen gelassen. Es war nur Danas panischem Notruf zu verdanken gewesen, dass sie überhaupt noch lebte.
Dieses Mal hatte sie keinerlei Absicht, um ihr Leben zu flehen. Sie hatte die letzten Stunden
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