Der Rache Suesser Klang
Viel zu viele von ihnen hatten nie normale Umstände kennen gelernt. Alle waren geschlagen worden, manche mehr als andere. Die meisten trugen die Zeichen sichtbar für jeden, der sich die Mühe machte, hinzusehen. Ihre Verletzungen konnten behandelt werden und heilten früher oder später.
Doch die Wunden der Seele waren schwieriger zu behandeln. Einige fanden die Kraft, das Leben wieder in Angriff zu nehmen und weiterzumachen, andere nicht. So einfach war das. Und gleichzeitig so kompliziert.
Heute Abend sollte sie eine Frau treffen, die sich Jane Smith nannte. Nicht gerade originell ausgedacht, aber das war Dana egal. Jane würde von außerhalb kommen und einen zehnjährigen Sohn mitbringen. Er hieß Erik.
Für Dana war es stets am schwersten, mit den Kindern umzugehen. Die Furcht in den Augen, ihre Verzweiflung waren kaum zu ertragen. Und dann war da die Scham, die Resignation. Was immer Dana auch für die Kinder tun konnte, mit den Narben auf der Seele mussten sie leben. Für immer. Und das wusste Dana nur allzu gut.
Sie straffte den Körper und konzentrierte sich wieder auf die Menschen. Der Bus war gerade eingetroffen, und die ersten Passagiere kamen durch den Bahnhof. Alte Frauen, alte Männer. Eine Frau mit Kind. Dana erkannte schnell, dass sie nicht die waren, auf die sie wartete. Das Lächeln der Mutter war echt, die Augen des Kindes zu vertrauensvoll.
Dann sah sie sie. Die Frau war mittelgroß. Ihre Figur war schwer zu erkennen, weil sie einen formlosen Overall trug. Sie hielt den Kopf gesenkt und hatte eine Baseball-Kappe auf. An ihrer Hand hielt sie einen zart gebauten Jungen, der hinter ihr herstolperte. Als er zu fallen drohte, hievte ihn die Frau wieder auf die Füße.
Dana hoffte, dass die Trägheit des Jungen auf die lange Reise und die späte Stunde zurückzuführen war, nicht auf Krankheit. Die Frau blickte sich unruhig um, ihre Anspannung war beinahe greifbar. Dana trat aus dem Schatten und sah, wie die Anspannung augenblicklich nachließ. »Jane? Erik?«
Die Frau blickte lange genug auf, dass Dana ihr zerschlagenes Gesicht sehen konnte. Dann senkte sie den Blick rasch wieder. Sie war verprügelt worden, und das vor kurzem. Aber das Kind machte ihr im Moment größere Sorgen. Es sah nicht auf, als sie seinen Namen rief, aber das war nicht weiter ungewöhnlich. Was sie weitaus mehr verstörte, war die Intensität seiner Weigerung; es kam ihr vor, als ob er sich darauf konzentrierte, keinen Augenkontakt herzustellen. Sie ließ sich auf ein Knie sinken und versuchte, ihm einen Finger unters Kinn zu legen, aber er fuhr zurück, begann zu zittern und schob seine knochigen Schultern zusammen. Dana wurde es schwer ums Herz. Wie immer.
»Schon gut«, murmelte Dana. »Niemand tut dir hier was. Du brauchst keine Angst mehr zu haben.« Sie erhob sich und berührte die Schulter der Frau, die sich sofort versteifte. Dennoch tippte sie ihr leicht ans Kinn und hob ihr Gesicht an. Böse Prellungen und Platzwunden bedeckten ihr Gesicht, aber es waren die Augen, die Dana fast hätten zurückfahren lassen. In dem dämmrigen Licht des Bahnhofs wirkten sie beinahe weiß. Dana gelang es, die Gänsehaut zu unterdrücken und ein warmes Lächeln zustande zu bringen. »Ich bin Dana. Willkommen.«
Wight’s Landing
Freitag, 30. Juli, 23.00 Uhr
Ethan setzte sich an den kleinen Arbeitstisch an der Wand und bereitete alles vor, um die E-Mail zurückzuverfolgen, während Clay die oberen Zimmer in Augenschein nahm. Geübt vernetzte er Randis Laptop mit seinem und öffnete die Mail mit ihrem scheußlichen Anhang. Auf seinem Computer befand sich die Software, die er brauchte, um den Absender der Nachricht aufzuspüren.
»Machst du das oft?«, fragte Randi leise von der Couch.
»Das hier? Ja.«
Sie stand auf und stellte sich hinter ihn, die Arme vor der Brust verschränkt. »Ethan, was genau machst du eigentlich?«
Er lächelte über ihre zögernde Stimme.
»Clay und ich arbeiten für Firmen, die sich mehr Sicherheit wünschen. Ich sorge dafür, dass kein Hacker in ihr System eindringen und Informationen herausholen kann. Außerdem installiere ich Überwachungssysteme, mit denen die Firmen internen Diebstahl aufdecken können.«
»Du meinst, du hilfst den Chefs, ihre Angestellten auszuspionieren.«
»Im Grunde ja. Viele der Kunden sind Firmen, die für die innere Sicherheit des Landes sorgen. Ihre Geheimnisse müssen geheim bleiben.«
»Und was macht Clay?«
»Er trainiert die Sicherheitsbeamten. Manchmal
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