Der Rache Suesser Klang
was für ein schlechtes Gewissen es einem Kind macht, wenn es froh über den Tod seines Vaters ist?«
»Nein«, antwortete er schlicht und setzte seine Liebkosung fort. »Aber ich kann es mir vorstellen.«
»Ich glaube kaum, dass du in deiner Vorstellung dem Gefühl nahekommst«, sagte sie voller Bitterkeit. »Jedenfalls war ich glücklich. Ein paar Monate waren wir nur zu dritt. Wir wohnten bei meiner Großmutter.«
»Du hattest eine Schwester?«
»Hab ich noch irgendwo«, antwortete sie, noch immer bitter. »Obwohl Maddie das anders sieht. Sie meint, sie habe keine Schwester mehr.«
»Sie macht dich also für den Tod eurer Mutter verantwortlich?«
»Ja.«
»Das verstehe ich nicht. Es war doch dein Stiefvater. Er sitzt eine lebenslange Haftstrafe ab.«
»Das hast du alles überprüft, hm? Ja, lebenslang. Er hat inzwischen Krebs, so dass er es wohl nicht mehr lange machen wird. Es wird mir auch nicht leid tun, wenn er abtritt.«
»Deine Mutter ist also vom Regen in die Traufe gesprungen?«
»So ungefähr. Sie schleppte diesen Mann bei meiner Großmutter zu Hause an. Ich mochte ihn nicht, und das sagte ich auch. Und schon lag ich auf dem Boden.«
Ethan zog die Stirn kraus. »Er hat dich niedergeschlagen, und deine Mutter hat ihn trotzdem geheiratet?«
»Er war ein guter Versorger«, sagte sie beißend. »Da mussten wir nicht mehr bei Großmutter leben.«
»Ich glaube, langsam verstehe ich«, murmelte er, hob seine Hand und strich ihr übers Haar.
»Als ich Eddie verließ, wollte ich ein echtes, eigenes Leben«, fuhr sie plötzlich in einer anderen Richtung fort. »Ich kellnerte, um Geld fürs College zu verdienen. Belegte so viele Kurse, wie ich mir leisten konnte. Eines Abends auf dem Campus bekam ich einen Flyer in die Finger, auf dem etwas über Selbsthilfegruppen für Opfer von Misshandlungen stand, und ich ging hin. Die Frau, die die Gruppe leitete, hatte ein Frauenhaus – das Hanover House.«
»Ich dachte, du hättest es gegründet.«
»Nein. Das war Maria.« Ihre Stimme wurde warm. »Sie war der erste Mensch, der sich wirklich etwas aus mir machte. Ihretwegen fing ich an, Psychologie zu studieren. Ich wollte wie sie sein. Und mich selbst therapieren«, fügte sie selbstironisch hinzu. »Jedenfalls fing ich an, den Teufelskreis von häuslicher Gewalt zu begreifen. Und der Hass auf meine Mutter ließ ein wenig nach. Ich versuchte, sie zu überreden, in eine von Marias Gruppen zu gehen, aber sie wollte nicht. Ich glaube, in dem Moment begann ich zu begreifen, dass ich es meiner Mutter vor allem verübelte, den leichtesten Weg gewählt zu haben, statt an uns zu denken. Sie tat immer so, als hätte sie keine Wahl. Ich fand das jämmerlich. Sie liebte uns nicht genug. Aber ich gab nicht auf. Immer wieder bedrängte ich sie, zu der Gruppe zu kommen, ihn zu verlassen. Er schlug sie immer weiter. Und eines Tages landete sie in der Notaufnahme. Sie rief mich an.«
»Und du hast sie abgeholt.«
»Natürlich. Sie war meine Mutter. Ich brachte sie in meine Wohnung. Sagte ihr, dass sie da bleiben solle, und ich glaube, sie hatte einfach keine Kraft mehr, sich gegen mich zu wehren. Mein Stiefvater kam in den Laden, wo ich kellnerte. Er war außer sich. Und ich glaube, da bin ich einfach … ausgerastet. Ich brüllte ihn an, dass er ein Tier sei, ein Dreckschwein, das Kinder schlug. Und meine Mutter hätte endlich begriffen, dass ich mehr wert sei als er.«
»Und er?«
»Drehte durch. Der Restaurantmanager musste ihn rauswerfen. Und er hätte fast auch mich deswegen rausgeworfen. Ich dachte, er würde abhauen, seine Wunden lecken und dann zu mir zurückkommen.«
»Aber er hat deine Mutter gesucht.«
»Und gefunden.« Sie schwieg. Lange. Dann: »Als ich nach Hause kam, fand ich sie.«
Seine Hand verharrte auf ihrem Rücken. »Lebte sie noch?«
»Nein.« Sie flüsterte das Wort.
»Es tut mir leid.«
Wieder schwieg sie eine lange Weile. Als sie wieder sprach, war ihre Stimme kaum hörbar. »Da war so viel Blut. Überall. Ich … es war an die Wände gespritzt. In den Teppich gesickert. Ich … ich hörte, wie es patschte. Unter meinen Füßen.« Sie schauderte. »Ich höre es immer noch.«
»In deinen Träumen.«
Sie nickte und holte dann tief Luft, als wollte sie sich gegen die nächsten Worte wappnen.
»Es war scheußlich. Er hatte sie zusammengeschlagen. Und mit einem von meinen Küchenmessern auf sie eingestochen. So viel Blut. Ich drehte sie um und schrie, als ich ihr Gesicht sah. Es war gar
Weitere Kostenlose Bücher