Der Rache Suesser Klang
Weile, dann wandte er den Kopf und sah Dana an, die ihn wiederum anstarrte wie ein Reh, das im Scheinwerferlicht erstarrt war.
Ethans Magen drehte sich um, und er musste die aufsteigende Galle niederzwingen. Aber es war nicht der Anblick des Flecks, der ihm Übelkeit bereitete, sondern die Erkenntnis, die mit ihm kam.
»Du bist damals nicht umgezogen, richtig?«, fragte er heiser.
Sie sah ihn nicht an. »Nein.« Ihre Lippen formten das Wort nur. Kein Laut war zu hören.
Sie war hier gestorben, Danas Mutter. In dem Artikel, den er gefunden hatte, hatte gestanden, dass ihre Tochter sie gefunden hatte, entsetzlich zerschlagen und aus zahlreichen Wunden blutend. Aber in der Zeitung hatte weder etwas vom Tatort noch vom Täter gestanden. Er dachte an den Ausdruck in ihren Augen, als sie ihm von ihrem Leben erzählt hatte, von der Gewalt, die sie zuerst durch ihren Vater, dann durch ihren Stiefvater erlebt hatte. Als er den Artikel gelesen hatte, hatte er vermutet, dass der Stiefvater der Verantwortliche war, und seine Vermutung war bestätigt worden, als er den Namen auf der Liste der Lebenslänglichen im Bundesgefängnis entdeckt hatte.
Aber er hatte auch angenommen, dass sie umgezogen war. Wer hätte das nicht getan? Aber Dana Dupinsky war nicht irgendwer. Irgendwie hatte sie die Szene eines sinnlosen, gemeinen Verbrechens in ihre eigene, private Hölle verwandelt. Jedes Mal, wenn sie nach Hause kam, musste sie es wieder sehen, musste sie die Szenerie wieder betreten. Dieses Haus mit seinen Junkies und Dealern war ein großes, elendes Fegefeuer.
»Gott, Abe«, sagte Mitchell hinter ihnen.
Reagan kam auf die Füße. »Sag’s mir nicht. Ihre Mutter?«
Mitchell bedachte die bleiche, bebende Dana mit einem derart fürsorglichen Blick, dass Ethan ihr beinahe vergeben hätte, Dana solch einer Gefahr ausgesetzt zu haben. »Ja. Deck es bitte wieder zu. Und, Ethan, bringen Sie Dana wieder ins Hotel zurück. Rufen Sie mich an, wenn Sie da sind, okay?«
Chicago
Donnerstag, 5. August, 23.00 Uhr
Irgendetwas stimmte da nicht. Sue saß einen Block entfernt in ihrem Auto und blickte auf das kleine zweigeschossige Gebäude, das dem Officer gehörte, der sie vor elf Jahren verhaftet hatte. Er hieß Taggart. Er lebte allein, aber sie konnte die Schatten von anderen Personen erkennen. Ihr Instinkt meldete sich mit aller Macht. Da drin waren Bullen und warteten. Warteten auf sie.
Tja, nun, sie würden enttäuscht sein, dachte sie. Sue trommelte nachdenklich mit den Fingern aufs Lenkrad. Für die Tatsache, dass Polizei anwesend war, gab es nur eine Erklärung, und die lautete, dass Randi Vaughn ihnen einen Hinweis gegeben hatte. Sue hätte geglaubt, dass die Entführung des Jungen für Randi Motivation genug war, ihren Mund zu halten. Dass Randi inzwischen wusste, wie dumm es war, die Polizei hinzuzuziehen. Offensichtlich ließen sich alte Gewohnheiten aber nur schwer ablegen. Nun, Randi würde es schon noch lernen.
Jetzt, da Randi Vaughn die Polizei gerufen hatte, würde sie auch sicher das Hotel beobachten. Das erforderte eine Änderung in der Logistik des morgigen Tages. Der Ort der Party blieb, aber der Ehrengast musste auf anderem Weg dorthin gelangen. Sie würde Donnie morgen Anweisungen geben. Nun musste sie erst einmal eine Tankstelle aufsuchen und die Kanister im Kofferraum füllen.
Zumindest was den heutigen Abend betraf, würde sich nichts ändern.
Chicago
Donnerstag, 5. August, 23.45 Uhr
»Dana, du musst wirklich etwas essen«, sagte Ethan, der in der Tür zum Schlafzimmer stand.
Sie konnte sein Spiegelbild im Fenster sehen, als sie auf die hellen Lichter der Stadt blickte. Er versuchte, sie zum Essen zu überreden, seit sie ins Hotel zurückgekehrt waren, aber allein der Gedanke daran verschloss ihr die Kehle. »Ethan, ich kriege wirklich nichts runter«, sagte sie gereizt in der Absicht, ihn wieder ins Wohnzimmer zurückzutreiben.
Stattdessen kam er, wie sie im Fenster sah, auf sie zu. Sie schauderte, als er seine warmen Hände auf ihre Schultern legte und sanft ihre Schläfe küsste.
»Gib nicht auf, Süße«, murmelte er, aber das Spiegelbild verriet die Sorge in seinen Augen.
»Tue ich nicht«, murmelte sie zurück, aber sie konnte selbst hören, wie falsch es sich anhörte. Sue hatte Evie, und Sue hatte ihre Pistole. Sue hatte elf Menschen getötet, und niemand wusste, wo sie war.
Er zog an ihrer Schulter. »Du stehst seit zwei Stunden hier und starrst aus dem Fenster. Komm ins Bett, Dana. Du
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