Der Rache Suesser Klang
nicht mehr zu erkennen. Ich schrie, jemand müsse die 911 anrufen, aber niemand hörte mich. Schon damals war das Haus nicht gerade die erste Adresse. Niemand wagte sich vor die Tür, wenn er nicht musste.«
Er hatte wieder zu streicheln begonnen. »Wie hast du dann Hilfe bekommen?«
»Ich schaffte es irgendwie, aufzustehen und zum Telefon zu gehen, aber es rutschte mir immer wieder aus den Fingern, und erst da merkte ich, dass meine Hände ebenfalls voll Blut waren.«
Er dachte daran, wie sie auf ihre Hände gestarrt hatte, als sie am Abend zuvor aus dem Bad gekommen war. Er wusste nicht, was er sagen sollte, also schwieg er. Und streichelte sie weiter.
»Ich rief also den Notarzt und wartete. Sie brauchten ewig. Als sie endlich kamen, war ich … hysterisch. So hat man es mir jedenfalls später erzählt. Ich musste sie gebeten haben, Maria anzurufen, denn sie kam, als sie meine Mutter wegbrachten.« Sie schnitt eine Grimasse. »Maria führte mich in die Küche, damit ich nichts sah, aber ich höre immer noch das Geräusch des Reißverschlusses, als sie den Leichensack zuzogen. Maria fing an, mich zu waschen, als das Telefon klingelte.«
Sie schwieg, bis er fragte: »Wer war dran?«
»Mein Stiefvater. Seine Stimme bebte. Er war noch immer im Blutrausch.«
»Was hat er gesagt?«
Sie schien nicht mehr zu atmen. Schwieg.
»Dana, Liebes, was hat er gesagt?«
Sie schauderte. »Er sagte: ›Du hast deine Mutter umgebracht. Bist du nun zufrieden?‹«
Ethans Hand verharrte auf ihrem Rücken. Es waren exakt die Worte, die sie in der vergangenen Nacht gesagt hatte.
Ich habe meine Mutter umgebracht. Bist du nun zufrieden?
»Du weißt, dass das nicht wahr ist, Dana.«
»Habe ich sie mit meinen Fäusten geschlagen?«
Sie sprach jetzt sehr ruhig. Zu ruhig.
»Nein. Hab ich mit meinem Küchenmesser auf sie eingestochen? Nein. Habe ich sie in eine Situation gebracht, mit der sie nicht umgehen konnte? Oh, ja, das habe ich. Dann habe ich es noch schlimmer gemacht, indem ich ihn öffentlich demütigte. Ich bin schuld, dass er seinen Tobsuchtsanfall bekam. Ich habe meine Mutter nicht eigenhändig getötet, aber ich bin dafür verantwortlich. Ich habe die Ereignisse in Gang gebracht.«
»Die Ereignisse wurden in Gang gebracht, noch bevor du geboren wurdest, Dana. Deine Mutter hat ihre Wahl getroffen. Du warst ein Kind.«
»Ich war kein Kind mehr, als ich sie dazu gedrängt habe, die letzte Wahl zu treffen.« Noch immer diese unheimliche Ruhe. »Aber ich habe mich wie ein Kind benommen. Er oder ich. Wähle. Wenn sie ihn gewählt hätte, wäre sie vielleicht heute noch am Leben.«
Er wusste nicht, wie er sie davon hätte überzeugen können, dass sie nicht verantwortlich war. »Und was geschah dann?«
»Maria war die ganze Zeit über für mich da. Sie gab mir die Chance, im Hanover House zu arbeiten. Sie sorgte dafür, dass ich an ihrer Seite blieb. Wenn ich zurückblicke, erkenne ich, dass sie das tat, um mich wieder zu stabilisieren. Aber dann wurde es …« Sie seufzte. »Zu meinem Leben. Maria starb, kurz nachdem ich meinen Abschluss gemacht hatte. Sie hatte Herzprobleme. Als ich sie über ihren Schreibtisch gebeugt fand, dachte ich, sie sei nur eingeschlafen. Aber sie trat ab, wie sie es sich gewünscht hätte, glaube ich. Bei der Arbeit. Die ersten fünf Jahre im Hanover House setzte ich mein Studium fort. Bekam mein Diplom als Therapeutin. Und … das war’s.«
Das war weit davon entfernt,
es
zu sein, das wusste er. »Wann hast du damit angefangen … Fotos für die Pässe zu machen?«
»Ungefähr ein Jahr davor. Maria versuchte immer, den Frauen eine neue Identität zu besorgen.« Sie legte sich auf den Rücken und sah ihm direkt in die Augen. »Ich mache nicht bloß die Fotos, Ethan. Ich mache alles. Die Pässe, die Führerscheine … alles.«
»Das dachte ich mir schon.« Aber dass sie es ihm gesagt hatte, rührte ihn zutiefst. »Wie vielen Frauen konntest du auf diese Art helfen?«
»In den vergangenen zehn Jahren vielleicht zwei Dutzend. Es gestaltet sich seit dem 11.9. ein ganzes Stück schwieriger. Allerdings ist die Computertechnologie auch um einiges besser geworden.«
Er zog die Brauen hoch. »Du willst das also weitermachen?«
Eine Falte erschien auf ihrer Stirn. »Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich nicht. Dieses Mal bin ich ja fast erwischt worden.«
Sein Puls beschleunigte sich, als er darüber nachdachte. »Gott. Wenn sie das Haus durchsuchen …«
»David hat alles ausgeräumt. Das
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