Der Rache Suesser Klang
eine einzige Dosierung gegeben. Doch Scarface hatte ihr die ganze Flasche vermacht.
Also verabreichte Sue dem Jungen die Pille jetzt mit einem großen Löffel Benadryl. Das Kind wehrte sich anfangs, doch ein einziger kalter Blick brachte ihn zur Räson. Sie beobachtete, wie seine Kehle arbeitete, aber ein winziges Aufflackern in seinen Augen – beinahe etwas wie Trotz – machte sie misstrauisch. Er wehrte sich, kämpfte gegen ihre Hände an, als sie seinen Kopf packte und seinen Mund aufzwang, aber dann sah sie die rote Flüssigkeit, die sich in seiner Backentasche gesammelt hatte.
»Schluck es runter«, murmelte sie, bevor ihr einfiel, dass es wenig Sinn hatte, dem Jungen mit Worten zu drohen. Während sie mit einer Hand seine mageren Kiefer zusammenhielt, griff sie mit der anderen Stift und Notizblock, den jemand rücksichtsvollerweise neben dem Bett hatte liegen lassen. Sie schrieb ein paar Worte auf, dann zeigte sie ihm den Zettel.
Und sah zu, wie ihm die Farbe aus dem Gesicht wich. Ohne noch einmal zu protestieren, schluckte er.
Sie nickte knapp, schob den Zettel in die Tasche und drückte seinen Kopf grob aufs Bett zurück. Dummer Junge. Glaubte tatsächlich, er könne sie austricksen. Er war zwölf, verdammt noch mal. Und wie clever konnte er schon sein? Jedenfalls wenn man in Betracht zog, wer sein Vater war.
Einen Moment lang stand sie da und blickte auf den Jungen herab. Wenn der letzte Vorhang fiel, würde er tot sein. In gewisser Hinsicht hätte dieser Gedanke sie beunruhigen müssen. Tat er aber nicht.
Sie ballte langsam die Faust. Ihre Hand war klebrig vom Benadryl. Und sie musste unbedingt eine rauchen. Mit einem letzten warnenden Blick griff sie nach Zigaretten und Feuerzeug und ging ins Badezimmer.
Alec sah sie gehen, schloss die Augen und rollte sich zu einer Kugel zusammen. Er dachte an den Mann, der mit ihr im Strandhaus gewesen war. Der, der Cheryl eine Pistole an den Kopf gehalten hatte, während die weißäugige Frau ihn gefesselt hatte. Bryce hieß er. Das wusste Alec jetzt. Alec wusste, dass Bryce am Haus geblieben war und auf seine Eltern gewartet hatte. Und Alec wusste, dass Bryce nun die Pistole an den Kopf seiner Mutter hielt. So hatte es auf dem Zettel gestanden.
Vielleicht log die weißäugige Frau. Aber das konnte Alec nicht riskieren.
Seine Mutter würde sterben. Wie Cheryl. Und Paul. Es sei denn, er tat, was sie wollte.
Alec schluckte wieder und spürte brennende Tränen in seinen Augen. Dafür hasste er sich. Er heulte wie ein Baby, während seine Mutter so dringend Hilfe brauchte. Er hatte sich von dieser gemeinen Frau betäuben lassen, obwohl seine Mutter dringend Hilfe brauchte.
Er hatte keine Ahnung wo er war oder wer all die Leute um ihn herum waren. Die Rothaarige behandelte die weißäugige Frau sehr nett. Also war sie wahrscheinlich auch böse. Zum ersten Mal in seinem Leben sehnte er sich nach seinem Signalprozessor. Er hätte ihn hinters Ohr schieben und lauschen können, wie Cheryl es ihm beigebracht hat. Dann würde er herausfinden, ob die Rothaarige böse oder gut war. Aber er hatte seinen Prozessor nicht. Cheryl war tot. Und seine Mutter brauchte Hilfe.
Aber die Medikamente verwandelten seine Glieder in Blei und seinen Kopf in etwas Schwammiges. Er kämpfte dagegen an, aber schließlich trieb er ab.
Zufrieden setzte sich Sue auf den Rand der altertümlichen Badewanne in dem ebenso altertümlichen Bad. Sie steckte sich eine Zigarette in den Mund, zündete sie an und inhalierte tief. Dann zog sie den Zettel aus der Tasche, hielt eine Ecke an die brennende Zigarettenspitze und sah fasziniert zu, wie das Papier schwarz wurde, Feuer fing und die Flamme aufwärts raste. Kurz bevor sie ihre Finger erreichte, ließ sie den Rest in die Toilette fallen und zog ab. Sie hatte ihm gedroht, dass Bryce seine Mutter töten würde, und es war äußerst effektiv gewesen. Dass ihr Bruder tatsächlich in irgendeinem Knast in Maryland vor sich hin schmorte, brauchte der Junge nicht zu wissen.
Wieder zog sie an der Zigarette, und zum ersten Mal an diesem Tag entspannte sie sich. Als ihr Handy klingelte, wäre sie vor Schreck beinahe in die Badewanne gefallen. Mit hämmerndem Herzen zog sie das Telefon aus der Tasche
.
Bryce. Oder noch schlimmer – James.
»Ja?«
»Baby, ich bin’s, Fred.«
Sie stieß, erleichtert und verärgert, den Rauch aus. »Was willst du?«
»Na, na, redet man so mit seinem persönlichen Botenjungen?«, spottete er.
Davor hatte sie sich
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