Der Rache Suesser Klang
immer noch frei herum. Bitte denk daran, die Tür abzuschließen. Bitte.«
Evies dunkle Augen waren ausdruckslos. »Ich werde auch das festhalten.« Und dann machte sie Dana die Tür vor der Nase zu.
Mit einem weiteren Seufzen klopfte Dana an Janes Tür. Jane öffnete und weitete ihre durchscheinenden Augen, als sie Dana entdeckte. In ihrem knappen Top ohne BH und den sehr kurzen Shorts wirkte Jane eher wie eine Bartänzerin als eine misshandelte Mutter eines zehnjährigen Jungen. Augenblicklich schalt Dana sich für diesen Gedanken. Jede Frau hatte das Recht, sich in ihrem Zimmer zu kleiden, wie immer sie wollte. Man musste nicht in Sack und Asche gehen, weil es einem schlecht ging. Und draußen war es unglaublich heiß. »Hi, Jane. Ich wollte nur mal nachsehen, ob alles in Ordnung ist. Wegen letzter Nacht.«
Jane wandte sich zu Erik um, und Dana erhaschte einen Blick auf eine Tätowierung auf ihrer Schulter. Ein stilisiertes A lugte unter dem Träger des Tops hervor. »Er schläft«, murmelte sie. »Ich fürchte, das Hähnchen ist ihm nicht bekommen.«
»Oder sein Magen ist eine Weile nicht voll genug gewesen«, sagte Dana ruhig. Die Narben an Janes Armen, die Tätowierung … irgendwie schienen sie nicht zu der niedergeschmetterten Frau zu passen, die vor ihr stand. »Hast du genug zu essen bekommen, bevor du herkamst, Jane?«
Jane senkte den Blick. »Nicht immer. Manchmal hatten wir nichts. Ich habe versucht, das, was da war, zu strecken. Aber die Medikamente schlagen ihm auf den Appetit. Ich versuche, ihn zum Essen zu bringen, seit wir hier angekommen sind.«
»Du warst wütend gestern Nacht. Warum?« Dana betrachtete ihr Gegenüber genau. Sehr genau. Und hätte sie das nicht getan, wäre ihr vielleicht entgangen, wie Jane die Kiefer zusammenpresste. Denn der zornige Ausdruck war so schnell wieder fort, wie er aufgetaucht war, und an seine Stelle trat Verzweiflung.
»Es war mir peinlich. Ich war nicht wütend.«
»Manchmal bringt Druck von außen uns dazu, Dinge zu tun, die wir ansonsten niemals täten«, fuhr Dana fort, ohne den Blick von Jane zu nehmen. »Manchmal attackieren wir die, die uns am liebsten sind, ohne es eigentlich zu wollen.«
»Ich … ich weiß nicht, was du meinst.«
Dana nahm sanft ihren Arm und strich hauchzart über die verblassten Narben. »Unter Stress richten wir manchmal Aggressionen gegen uns selbst. Verletzen uns. Verletzen die, die uns am nächsten stehen.«
Und dann sah Dana, was Caroline gemeint hatte. In Janes Augen vollzog sich eine kontrollierte Explosion, und einen Sekundenbruchteil später stand darin Hass und nackte Wut. Dana wich unwillkürlich einen Schritt zurück, als Jane sich losriss und die Arme vor der Brust verschränkte. »Ich würde meinem Sohn niemals wehtun«, zischte sie.
»Das glaube ich dir«, sagte Dana beruhigend. Ihr Blick wurde angezogen von Janes Händen, die sich in ihre Oberarme gruben. Und in diesem Moment sah sie die kleine Tätowierung direkt unter dem Knöchel des Ringfingers. Ein Kreuz. Eine Gefängnistätowierung. Sie sah auf. Erkannte, dass Jane wusste, wohin sie blickte.
»Was hast du gemacht?«, fragte Dana leise.
Janes Brust hob und senkte sich heftig. »Das geht dich nichts an, verdammt noch mal.«
Dana warf einen Blick über Janes Schulter zu dem Jungen, der auf dem Bett schlief. Sie musste mit Dr. Lee darüber reden. Und abklären, ob sie die Behörden einschalten sollten, um Erik von seiner Mutter wegzuholen. Aber das konnte sie nur auf der Grundlage des Verhaltens, das Jane jetzt und hier an den Tag legte. Nicht wegen des Verhaltens vorher. Menschen machten Fehler. Zahlten ihre Schuld ab. Führten ihr Leben weiter. Dana hatte genau das getan. Und sie wünschte sich, sie hätte glauben können, dass Jane Smith ebenfalls zu den Leuten gehörte.
»Du hast Recht, das geht mich nichts an. Was zählt, ist allein das Wohlergehen des Jungen. Haben wir uns verstanden, Jane?«
Jane nickte knapp. »Ja.« Und dann wurde Dana zum zweiten Mal innerhalb weniger Minuten die Tür vor der Nase zugemacht.
»Na, toll«, murmelte Dana. Und sah auf die Uhr. Noch immer vierzehn Stunden bis zum Abendessen.
Das Telefon klingelte, und Evie erschien mit steinernem Gesicht. »Das war Max. Die Vitalfunktionen des Babys brechen zusammen. Caroline will, dass du kommst.«
Chicago
Dienstag, 3. August, 9.00 Uhr
Evie setzte sich neben Erik und betrachtete ihn besorgt. Jane war mit den Stellenanzeigen vom Sonntag auf Arbeitssuche gegangen. Sie
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