Der raetselhafte Kunstraub
und breitete seine Arme aus. Gleich darauf wurde es ruhig im Saal.
„Gestatten Sie, daß ich mich Ihnen vorstelle“, sagte der junge Mann, der so aussah, als hätte er gerade auf den Bahamas Urlaub gemacht. „Mein Name ist Peter Aschenbach, ich bin der
Regisseur des Fernsehteams, das heute bei Ihnen ist.“
Man applaudierte höflich.
„Ich danke Ihnen im Namen unseres Senders für Ihr Erscheinen.“ Er lächelte ein wenig. „Sie zeigen damit auch Ihr Verständnis dafür, daß wir heute zusammen mit Ihnen einen Türken bauen.“
Die Versammlung zeigte ihre Verwunderung.
„Wieso einen Türken?“ fragte eine Stimme vom großen Portal her. Dort standen die Menschen wieder besonders dicht gedrängt.
Gleichzeitig rief der Schokoladenfabrikant Hugendubel: „Was wollen Sie damit sagen junger Freund?“
„Das ist bei uns so ein Fachausdruck“, erklärte der junge Mann in seinem bunten Hemd. „Gelegentlich müssen wir mit unseren Aufnahmen ein wenig mogeln, weil es gar nicht anders geht. Wie zum Beispiel heute hier bei Ihnen.“ Der junge Fernsehregisseur lächelte wieder. Ausgerechnet am vergangenen Sonntag, als Sie Ihre Tausendjahrfeiern eröffnet haben, gab es nämlich gleichzeitig ein Fußball-Länderspiel, ein Autorennen auf dem Nürburgring und in zwei Ländern die Landtags wählen. Im Programm wäre am Abend nicht eine einzige Minute Sendezeit frei gewesen, und unsere ganze Aufnahmetechnik war natürlich auch blockiert. Heute dagegen haben wir alles. Eine ausgezeichnete Sendezeit und genügend Ruhe für die Aufnahmen.“
„Und deshalb bauen wir heute einen Türken“, lachte der erste Bürgermeister. Der ganze Saal lachte mit und klatschte in die Hände.
„Dann wollen wir jetzt anfangen“, rief der junge Mann namens Peter Aschenbach. Er knipste mit Daumen und Zeigefinger.
Das war das Zeichen für die Beleuchter. Sie ließen ihre Scheinwerfer aufflammen, und augenblicklich war es im ganzen Saal so hell, als hätte draußen vor den Fenstern gerade der Blitz eingeschlagen.
Jetzt konnte man auch die Kameras sehen, die überall aufgebaut waren. Eine stand seitlich an der Fensterfront, eine zweite war auf einen kleinen Wagen montiert, und die dritte befand sich vorne auf der Galerie. Die Glorreichen Sieben standen ganz in der Nähe.
„Sehr interessant“, gab Karlchen Kubatz zu.
Endlich sieht man mal, wie so etwas gemacht wird“, bemerkte Fritz Treutlein.
Und dann ging es los.
„Bitte vergessen Sie ganz einfach, daß gefilmt wird“, schlug Regisseur Aschenbach noch vor. „Blicken Sie keinesfalls in die Kamera, sondern immer dahin, wo eben gerade etwas passiert. Zu den Rednern oder später, wenn der Vorhang fallt, zu den Kunstwerken, die dann zu sehen sind.“ Er kletterte vom Rednerpult wieder in den Saal. „Unsere Kameras und unsere Scheinwerfer sind gar nicht da, und Sie alle sind unter sich, wie immer. Darf ich jetzt das städtische Kammerorchester bitten.“
Der Dirigent stand auf und hob seinen Taktstock.
Einschalten“, rief eine Stimme.
Gleichzeitig leuchtete über der Kamera, die auf einen fahrbaren Wagen montiert war, ein rotes Licht auf.
„Kamera bereit“, sagte jemand.
Der junge Regisseur in dem bunten Hemd hob den linken Arm hoch.
Und jetzt zeigte es sich, daß die eigentliche Eröffnungsfeier am vergangenen Sonntag eine blendende Generalprobe gewesen war. Das ganze Programm lief ab wie am Schnürchen.
Nach Beethoven kam der Herr aus dem Kultusministerium an die Reihe und anschließend der gemischte Chor. Dann sprachen nacheinander der erste Bürgermeister und Studienrat Dr. Purzer. Schließlich trippelte die kleine Monika mit ihren Locken wieder zum Podium.
Die Leute vom Fernsehen filmten von der ganzen Veranstaltung natürlich immer nur einzelne Ausschnitte. In den Pausen wechselten die Mikrofone immer wieder einmal ihre Plätze, und Scheinwerfer wurden umgebaut.
Im Augenblick fuhr die Kamera, die auf einen Wagen montiert war, immer dichter auf das kleine Mädchen in dem himmelblauen Kleid mit den vielen Schleifen zu. Es war gera-de mit Hilfe des ersten Bürgermeisters auf das Podium geklettert und wünschte mit seiner Piepsstimme der Stadt Rittershude zu ihrer Tausendjahrfeier schönes Wetter und viel Freude. „Hiermit eröffne ich die Tausendjahrfeier“, wollte sie gerade sagen, da rief einer von den Fernsehleuten: „Stopp.“
„Licht aus!“ rief ein anderer.
„Entschuldigung“, erklärte Herr Aschenbach. Aber uns ist eine Kamera ausgefallen.“
Fünf
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