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Der raffinierte Mr. Scratch: Roman (German Edition)

Der raffinierte Mr. Scratch: Roman (German Edition)

Titel: Der raffinierte Mr. Scratch: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Poore
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sich schließlich, und ein separater, kleinerer, Brille tragender Schatten erschien in der Zellentür. Er hatte die Hände in den Taschen und musterte Fish von oben bis unten.
    »Harry Truman«, hustete Fish laut, bevor er begriff, wie ihm geschah.
    »Ganz genau«, sagte Truman freundlich.
    Eine Schuhspitze erwischte Fish in der Niere. Er würgte vor Übelkeit, schrie aber nicht.
    Truman ging in die Hocke und blickte Fish in die Augen, während er ihm erzählte, wer er war. Er hieß natürlich nicht Harry Truman, doch er war früher einmal berühmt gewesen, und Fish erkannte ihn wieder. Sein Name spielte keine Rolle. Fish dachte weiterhin als Harry Truman von ihm. Wichtig war, der Typ war Furcht einflößend. Er war die Sorte Mann, der in einer anderen Zeit und an einem anderen Ort vielleicht ein berühmter Nazi geworden wäre. In der heutigen Welt, an diesem Ort, war er zu einem berüchtigten Geschäftsmann geworden.
    »Ich sage das Gleiche zu dir, was ich zu Nixon gesagt habe«, begann Truman. »Du hast mir in der Öffentlichkeit den Respekt verweigert, deswegen werde ich dich öffentlich bestrafen.«
    Fish würde sich, nach Trumans Worten, beim Frühstück vor den versammelten Insassen und Wärtern bei ihm entschuldigen. Er würde für Truman Abos vom Robb Report und vom Wall Street Journal kaufen. Er würde ein ganzes Jahr lang Trumans Zelle reinigen und seine Wäsche machen …
    »Ein ganzes Jahr?«, ächzte Fish.
    Ein Wirbel von Tritten ruinierte seinen Solarplexus. Diesmal schrie er.
    Er würde Trumans Tablett in der Cafeteria tragen, fuhr die Stimme fort, und er würde einen Weg finden, Börsenprogramme auf die Computer der Bücherei herunterzuladen. Und wenn es sonst noch etwas gab, das Truman wollte, egal was …
    Das dunkle, rumpelnde Lachen machte eine weitere Runde.
    Die schummrige Beleuchtung im Korridor verwandelte Trumans Brille in zwei augenlose silberne Scheiben, doch hinter den Scheiben bewegte sich eine Augenbraue, und Fish begriff, dass Truman ihm zugezwinkert hatte.
    Er wappnete sich gegen eine weitere Serie von Tritten, räusperte sich und spuckte Truman ins Gesicht.
    Versuchte es zumindest. Traf aber nicht.
    Sie traten nicht nach ihm. Niemand lachte.
    »Ein Langsamlerner«, bemerkte Truman und erhob sich.
    Sie schoben Fish etwas Sandiges in den Mund, und er vermied es nur durch schiere Willenskraft, sich auf der Stelle zu übergeben. Er wurde an Händen und Füßen gefesselt. Dann zerrten sie ihn – wer immer sie waren – durch den Gang und die Treppe hinunter und durch einen weiteren Gang voller Dampf oder Nebel, bis Fish sicher war, sie könnten unmöglich noch auf dem Gelände des Gefängnisses sein. Dann warfen sie ihn auf einen Stahltisch und wickelten ihn in saubere weiße Laken. Ganz eng. Er konnte atmen, bis auf den Knebel in seinem Mund, aber das war alles.
    Während sie ihn beim Einwickeln umdrehten, erhaschte er immer wieder kurze Blicke auf einen toten Mann, der blau angelaufen und aufgeschnitten auf dem benachbarten Tisch lag.
    Ein Leichenschauhaus , dachte er.
    Er versuchte nicht zu schreien.
    Er würde sich unter Kontrolle behalten. Er musste. Er probierte einige der verrückten Atemtechniken durch, von denen er im Lauf der Jahre gehört hatte, und versuchte sich zu beruhigen. Wollten sie nicht mit ihm reden? Wenn sie ihm doch nur den Knebel abnehmen würden.
    Sie sagten die ganze Zeit kein einziges Wort zu ihm, was das Furchteinflößendste von allem war. Bis auf das dunkle rechteckige Loch mit einer langen, ausgezogenen Edelstahlbahre in einer Wand voller Minigefrierschranktüren, wie es aussah.
    Neuerliches Schreien. Sie schoben ihm den Knebel tiefer in den Mund, stießen ihn mit dem Kopf voran hinein, schoben die Bahre in das Loch in der Wand und schlossen die Tür hinter seinen Füßen.
    Dann ließen sie ihn lange Zeit dort.
    ***
    Fish entdeckte die Klaustrophobie.
    Wenn er doch nur den Verstand verlieren oder sterben hätte können.
    Er ertrug diese Beengtheit nicht, die Einzelhaft, die völlige Dunkelheit. Zum ersten Mal in seinem Leben verstand er Menschen, die unter Klaustrophobie litten, und empfand Mitleid mit ihnen. Er sehnte sich danach, die Arme zu bewegen. Sich aufzusetzen. Sich frei zu bewegen, umherzugehen. Gefangen zu sein in diesem Sarg war, als wäre man lebendig begraben.
    Zuerst wand er sich und strampelte und schrie und stieß mit den Füßen von innen gegen die Tür in der Hoffnung, jemanden auf sich aufmerksam zu machen.
    So lange, bis ihm heiß wurde

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