Der raffinierte Mr. Scratch: Roman (German Edition)

Schlamm, elektrische Kabel und stehende Pfützen, kletterte über einen Holzzaun und ließ sich von einer halben Million der nettesten Leute verschlucken, denen er je begegnet war.
    »Hi«, sagten sie zu ihm, als er vorbeikam.
    »Hi«, erwiderte er und lächelte.
    Bald darauf hatte er einen der Flutlichtmasten erreicht. Er blickte nach oben, oben, oben und litt für einen Moment unter Schwindelgefühlen, als die Spitze des Mastes vor den rollenden Wolken hintenüber zu kippen schien. Rasch streckte er die Hand aus und hielt sich an einem schwergewichtigen Hippie mit langem schwarzem Bart fest, um das Gleichgewicht zu bewahren.
    »Hi«, sagte der Dicke und lächelte.
    Der Mast wimmelte vor Leuten. Hauptsächlich junge Männer, einige von ihnen nackt. Lässig hingen sie zwischen den Stahlstreben, nicht sehr hoch über dem Boden. Andere waren höher hinauf geklettert, als wollten sie der Erde entkommen oder zumindest »Hi« zu den Beleuchtern sagen.
    Der Teufel zog weiter durch die Menge, zwischen Familien mit Säuglingen hindurch, an Pärchen vorbei, die irgendwelche Sachen unter irgendwelchen Decken machten und vorbei an Leuten, die Wasser und Essen und Zigaretten teilten. Es ging den Hügel hinauf, immer weiter und weiter, bis die Menschenmenge zurückblieb und nur noch die langen Schlangen vor den Toilettenwagen und portablen WC s auf der grünen Wiese zu sehen waren. Da stand auch eine improvisierte Sicherheitszentrale aus mehreren psychedelisch bemalten VW -Bussen. Der Teufel beobachtete, wie ein Mann und eine Frau sich auszogen und auf einer Wiese Liebe machten. Er wanderte um einen Teich, in dem sich junge Männer rasierten und johlend in Kanus umherpaddelten, und gesellte sich zu einer Gruppe Bekiffter beim Yoga.
    »Atmet ein«, sagte der Yogameister. »Findet die Wurzel eures Chakra.«
    »Hi«, sagten die Bekifften und atmeten ein.
    Der Teufel machte sich auf den Rückweg. Er kam gerade aus dem Wald, als über den Hügeln ein kehliger, tierhafter Laut erklang und unter den Bäumen verhallte. Ein Motorrad überholte den Teufel zur Linken. Auf der Maschine saß ein Mann mit wirrem Haar und handgenähter Weste. Hinter ihm hockte eine hübsche Frau in einem luftigen Baumwollkleidchen. Der haarige Bursche blickte den Teufel von der Seite an. Dieser erkannte, dass er Michael vor sich hatte, den Mann, der dieses irre, riesige, friedvolle Festival organisiert hatte.
    Das Motorrad kam auf den Teufel zu und hielt mit rumpelndem Motor einen Schritt vor ihm.
    »Hi«, sagte der Teufel.
    »Hi«, sagte Michael.
    In den vielen Milliarden Jahren seiner Existenz war es unvermeidlich, dass der Teufel ein paar Leuten begegnete – Leuten mit ungewöhnlichen Fähigkeiten oder einer Vision –, die die Welt veränderten.
    Das Motorrad jagte über die Wiese davon, während Michael noch irgendetwas sagte, das die Frau zum Lachen brachte. Der Teufel lachte ebenfalls.
    ***
    Die Dan Paul Overfield Band wurde unterdessen zwischen Wänden aus nackten Spanplatten hindurch eine Rampe hinaufbugsiert. Hier und da blickte ein berühmtes Gesicht in ihre Richtung.
    Eines dieser berühmten Gesichter, mit großer dunkler Sonnenbrille, schickem Stirnband und Afrofrisur, schaute Memory lächelnd an. »Willkommen auf dem Mars«, sagte der dunkelhäutige Mann, dem dieses Gesicht gehörte.
    Sie waren willkommen. Sie gehörten hierher.
    Für einen Moment – und mit einem Schmerz, der sie wie ein Messerstich durchdrang – wünschte Memory sich, Dan Paul wäre dabei.
    Sie, Fish und Zachary unterhielten sich über Belanglosigkeiten, nahmen hier eine Tablette, da einen Drink und aßen Pillen wie Alice im Wunderland. Die Zeit war ein purpurner Whirlpool, der sie immer weiterbugsierte, diesmal hinaus auf die große Bühne von Woodstock.
    ***
    Es war wie in einer biblischen Geschichte.
    Ein Meer von Menschen. Als wären sie auf dem Weg zum Roten Meer oder über den Jordan.
    Zachary setzte ein steinernes Gesicht auf und spielte seinen langsamen, dröhnenden Bass. Fish fiel mit einem Dschungel-Beat ein. Memory wedelte mit den Armen, die sie hoch über den Kopf erhoben hatte, als würde sie von den Drums und vom Wind, der immer stärker wurde und dunkle Wolken vor sich her trieb, hin und her geworfen. Ihre Stimme ritt auf elektrischen Strömen und ergoss sich mit ihrem weichen Klang wie Rahm über die Zuhörer.
    »Als würde sie von einer Geisterstimme begleitet«, flüsterten sie hoch oben auf den Masten und unten unter den Decken.
    Sie verliebten