Der Ramses-Code
sagte: »Du bleibst hier!«
Wenig später erschien General Marchand am Stadttor. Der Auszug der Siebener hatte sich wie ein Lauffeuer in der Stadt herumgesprochen, und immer mehr Menschen versammelten sich zu Füßen der Mauer. Marchand sprach erregt auf einen Offizier ein, der sich danach auf sein Pferd schwang und dem Regiment hinterhergaloppierte. Neue Truppen besetzten die Stadtmauer, das Tor wurde geschlossen und verrammelt. Die Garnison, hörten die Brüder einen Leutnant sagen, befände sich am Rande des Aufruhrs.
In der Tat ließen sich, nachdem das Tor verschlossen war, einzelne Soldaten mit Waffen und Marschgepäck die Mauern hinab und folgten den Überläufern. Der General befahl, aufsie zu feuern. Langsam und widerwillig luden ihre Kameraden die Gewehre, schauten den Flüchtlingen lange nach und befanden schließlich, sie seien bereits zu weit weg; manche feuerten auch, trafen aber ins Leere.
Der Abend begann zu dämmern. Jacques-Joseph sah einige Grenobler Honoratioren am Tor eintreffen – augenscheinlich war die Magistratssitzung beendet.
Aufgewühlt lief er in die Präfektur, wo er Fourier beim Packen antraf.
»Was tun Sie da?« fragte er überrascht.
»Ich reise ab«, erklärte der Präfekt.
»Sie reisen? Wohin denn?«
»Wenn alles vorbei ist, werde ich wohl wieder nach Paris zurückkehren. Bis dahin kann ich bei Verwandten in Montpellier wohnen.«
Jacques-Joseph war konsterniert. »Soll das heißen, Sie legen Ihr Amt nieder?«
»So ist es.«
»Aber warum denn?«
Der Präfekt hielt kurz inne und sah seinem Sekretär in die Augen. »Sie können sich doch ausmalen, was jetzt geschehen wird«, sagte er schließlich. »Ich komme eben aus der Magistratssitzung. Die Leute sind völlig aus dem Häuschen; fast alle wollen Napoleon die Stadttore öffnen. Auch die Soldaten der Garnison sind ganz wild auf die Rückkehr des Kaisers. Grenoble wird geschlossen zu ihm überlaufen.«
»Das ist doch großartig!« rief Jacques-Joseph, der nicht verstand, worauf sein Chef hinauswollte.
Fourier sah ihn ungläubig an, zuckte mit den Schultern und packte weiter. »Ich werde jedenfalls meinem Nachfolger, wer immer das sein mag, eine aufgeräumte Präfektur hinterlassen«, erklärte er.
»Ich verstehe nicht, warum Sie wegwollen. Sie haben doch selbst vor kurzem noch gesagt, wie sehr Sie sich wünschen, Napoleon möge zurückkehren und dieses Bourbonen-Pack davonjagen!« sagte Jacques-Joseph verzweifelt.
»Schon richtig, nur wie geht es dann weiter? Möglich, daß ihn jemand erschießt in den nächsten Tagen, irgendein verwirrterSoldat, der glaubt, dem König zu dienen. Dann wäre alles vorbei. Sonst aber wird entweder ganz Frankreich zu ihm überlaufen, oder wir bekommen einen prachtvollen Bürgerkrieg. Menschenskind, Champollion, schauen Sie doch einmal über die Grenze. Die Preußen, die Russen, die Österreicher, die Engländer, alle stehen Gewehr bei Fuß! Napoleon hat keine Chance. Sie lassen ihn nicht wieder auf den Thron, nicht ihn, dazu fürchten sie den Mann zu sehr! Wenn die Bourbonen es nicht schaffen, ihn zu töten, wird sich die Siegerkoalition in Marsch setzen. Dann haben wir wieder Krieg, wieder fremde Truppen im Land. Ich habe keine Lust auf den nächsten und den übernächsten Regierungswechsel. Ich mache Schluß! Und Sie täten gut daran, meinem Beispiel zu folgen oder sich in ihr Studierstübchen zurückzuziehen, bis der Spuk vorüber ist.«
Jacques-Joseph warf sich in die Brust. »Was Sie Spuk nennen, ist die Geschichte in ihrer gewaltigsten Größe! Wie können Sie nur in einem so erhabenen Moment fliehen! Ich werde bleiben und auf den Kaiser warten, vielleicht kann ich ihm meine Dienste anbieten. Ich werde Frankreich nicht in den Rücken fallen!«
»Wie Sie meinen«, entgegnete Fourier. »Kümmern Sie sich um Ihren Bruder. Ich hoffe, daß Sie beide am Leben bleiben und daß wir uns wiedersehen.«
Als Jacques-Joseph zum Stadttor zurückkam, es war gegen sieben Uhr abends, schien sich vor den Mauern etwas zu tun. »So sagt doch, was seht ihr?« riefen die unten Stehenden den Soldaten auf den Wällen zu.
»Lichter«, rief es von oben zurück, »Hunderte Fackeln, Tausende Fackeln! Es sind die Bauern.«
»Da!« schrie ein blutjunger Sappeur plötzlich und wies mit der Hand in die bezeichnete Richtung. »Die Bärenfellmützen! Die Alte Garde!«
Ein Raunen lief den Wehrgang entlang. Napoleons Alte Garde, das war Europas Kriegeradel schlechthin. Diese Männer hatten 19 Jahre auf allen
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