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Der Ramses-Code

Der Ramses-Code

Titel: Der Ramses-Code Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Klonovsky
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erhellten. Fourier stellte den Leuchter auf einen Foliantenschrank an der Wand. »Ich gehe noch etwas mehr Licht holen«, sagte er und ließ den Jungen allein. Der stand gebannt in der Zimmermitte. Zuerst fiel sein Blick auf ein dunkelbraun bemaltes Terrakotta-Antlitz, offenbar einstmals Bestandteil eines Reliefs, über dessen wulstigen Lippen und breiter Nase die weit aufgerissenen, schwarz umrandeten Augen von irgend etwas aufs höchste fasziniert in die Welt sahen. Daneben stand eine Steinplatte in der Größeeines Folianten, auf der zwei sich aufrichtende Kobras dargestellt waren, die eine mit bärtigem Männerhaupt, die andere mit dem Kopf einer Frau. Das größte Stück war ein Männertorso aus schwarzem Basalt, knapp einen halben Meter hoch, kopflos, armlos, der – auf einem offenbar eigens dafür getischlerten Podest – liegen mußte, weil auch die Beine oberhalb des Knies weggebrochen waren. Die Figur trug einen Lendenschurz, in dessen Gürtel Hieroglyphen eingeschnitten waren.
    Jean-François’ Herz schlug heftiger. Es waren die ersten echten Hierogyphen, die er zu Gesicht bekam, von der Hand eines ägyptischen Bildhauers – eines Menschen, der schon zu Staub zerfallen war, als David seine Psalmen sang – vor Jahrtausenden in diese Skulptur graviert: ein ausgebreitetes Armpaar, ein Skarabäus und eine Kugel darüber, alle drei Zeichen von einer ovalen Linie umgeben, die an der Schmalseite wie in einem Knoten zusammenlief. Daneben eine Gans mit einer anderen Kugel, die vielleicht die Sonnenscheibe darstellte; es folgte ein weiteres Oval, in dem sich eine Wellenlinie ringelte, der Rest war abgesplittert. Zwei Halbkreise schlossen sich an, ein menschliches Auge, Fahnen oder Äxte und andere, nicht eindeutig zu bestimmende Motive. Der Junge hatte vergessen, wo er sich befand. Atemlos staunend betrachtete er die heiligen Zeichen, und wie in Trance strichen seine Finger über die Vertiefungen der glatten Fläche.
    Es wurde heller um ihn. Fourier war mit einem zweiten Leuchter wiedergekommen. »Und?« fragte er.
    »Es ist phantastisch«, hauchte Jean-François.
    »Ich besitze leider nur eine Handvoll kleiner Trümmer, ein paar Papyri und einige Kopien von Zeichnungen der Kommission. Die Engländer haben uns alle größeren Stücke abgenommen«, sagte der Präfekt bedauernd. »Dieser Torso entging ihnen nur durch Zufall.« Dann führte er den Besucher an einen Tisch, auf dem mehrere Basaltbruchstücke lagen, die zur Gänze mit Hieroglyphen bedeckt waren. Auf einem anderen Tisch lagen geschnitzte Statuetten, schriftbedeckte Tonscherben – vielleicht ist das demotisch? überlegte Jean-François, fragte aber nicht –, allerlei kleine Gefäße undsteinerne Skarabäen. Der Junge sog alles mit gierigen Blicken in sich ein.
    »Und das hier«, sagte Fourier, »ist der Tierkreis aus dem großen Tempel von Dendera. Du hast vielleicht schon von ihm gehört.«
    Er hatte ein Papier ausgerollt und auf dem Tisch über den Basaltfragmenten ausgebreitet. »Das Original«, erläuterte der Naturwissenschaftler, »mißt zweieinhalb Meter im Durchmesser und befindet sich im Deckengewölbe des Tempels. Denon hat es gezeichnet – jener Denon, der damals überraschend auf dem Fest auftauchte. Du erinnerst dich?«
    Jean-François nickte und sah sich die Zeichnung an. Es war ein runder Zodiakus mit den zwölf Sternbildern, umlaufen von einem Hieroglyphenband und an der rechten Seite in seiner ganzen Länge von einer mit erhobenen Armen stehenden Frauenfigur flankiert. Vier weibliche Gestalten trugen das Himmelsrund, unterstützt von acht knienden falkenköpfigen Wesen. In der unteren Hälfte war deutlich der Stier mit zurückgewandtem Kopf erkennbar. Zwischen den Tierkreisbildern schritten Figuren, teils mit Menschen-, teils mit Tierköpfen.
    »Wissen wir, was dieser Kreis bedeutet?« fragte der Junge.
    »Nun, die Gelehrten streiten«, erwiderte der Mathematiker. »Dieser Tierkreis wird sicherlich mehr symbolisieren, als wir nachvollziehen können. Es könnte sich um ein Geburtshoroskop einer Gottheit oder eines Pharaos handeln, vielleicht aber auch um die Sternenkonstellation zu der Zeit, als der Tempel erbaut wurde. Die Ekliptik ist, sofern die Astronomen das korrekt deuten, im Vergleich zu heute um etwa 60 Grad verschoben, das heißt, die Ära des Stiers befindet sich im Endstadium. Die Regentschaft der Zwillinge begann 6500 vor Christus, die des Stiers um 4400, und sie ging um 2300 in die des Widders über. Derzeit leben wir

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