Der Ramses-Code
bekanntlich im Zeichen der Fische, einer Ära, die um 150 vor Christus begann und Ende des kommenden Jahrhunderts ins Zeitalter des Wassermanns übergehen wird. Sollte es sich um eine tatsächliche Konstellation handeln, dann wäre es naheliegend, sie auf etwa 2300 vor Christus zu datieren. Aber wiegesagt, die Gelehrten streiten, und es gibt Astronomen, die behaupten, dieser Zodiakus sei 10 000 Jahre alt.«
»Das wird die heilige Mutter Kirche gar nicht gerne hören«, sagte Jean-François mit leisem Spott, »denn dann wäre dieses Deckenfresko älter als der selige Adam.«
Fourier blickte forschend in das Gesicht seines Gastes. »Der Abbé ist sehr angetan von deinen gelehrten Kommentaren der hebräischen Bibel. Du scheinst dich sehr intensiv mit dem Alten Testament beschäftigt zu haben. Glaubst du an Gott?«
Jean-François schüttelte den Kopf. »Nein. Ich lese die Bibel vor allem, um daraus etwas über die ältesten Völker zu lernen, also die Völker, die viel älter sind als die Juden und von denen uns in den Texten nur noch ein schwacher Nachhall überliefert ist. Ich denke mir, daß im Hebräischen viele verfremdete ägyptische Worte stecken müssen, zum Beispiel der Name, den Pharao seinem Wesir Joseph verlieh: Zafenat-Paneach. Natürlich ist sie als Geschichtsbuch nur begrenzt tauglich; für die Erforschung der Geschichte Ägyptens etwa ist sie zu jung.«
»Tatsächlich? Im Alten Testament ist viel von Ägypten die Rede.«
»Ja, aber die gesamte Bibel kennt nur vier Pharaonen mit Namen: Necho, Schischak, Hofra und So. Der Pharao, der die Kinder Israels bedrückt hat, wird niemals namentlich erwähnt. Er muß ein gänzlich unbedeutender Herrscher gewesen sein. Es hätte sich auch kein wahrhaft großer Pharao mit Vertretern eines dahergelaufenen Semitenstammes abgegeben. Die Chronologie des Manetho kennt zwar zwei Herrscher des Namens Nechao, beide in der 26. Dynastie, aber weder einen Hofra noch einen So.«
»Wessen Chronologie bitte?« unterbrach ihn Fourier erstaunt.
»Die des Manetho.«
»Und wer ist das?«
»Ein ägyptischer Priester, der zur Zeit der Ptolemäer lebte und ein Verzeichnis sämtlicher Pharaonen niedergeschrieben hat«, erklärte der Junge und fuhr, endlich einmal in die Lageversetzt, sein Wissen vor dem berühmten Mann auszubreiten, fort: »Manetho nennt auch keinen Schischak, aber immerhin, in der 22. Dynastie, einen Sesonchis. Schischak – Sesonchis, das könnte eine Lautverschiebung beim Übersetzen sein. In den arabischen und semitischen Sprachen werden ja Vokale oft unterdrückt, so daß es dem Belieben des Interpreten überlassen bleibt, ob er etwa den Propheten als Mohammed, Mahomed oder Muhammad liest oder den Stammvater als Abraham oder Ibrahim. Wenn man dem Zweiten Buch der Chronik und dem Ersten Buch der Könige folgt, fiel Schischak mit seinen Truppen in Israel und Juda ein und belagerte Jerusalem, das damals von Rehabeam, dem Sohn Salomons, regiert wurde.«
»Mir war nicht bekannt, daß es Quellen dieser Art gibt«, sagte der Präfekt.
»Die Originale seiner Schriften sind verschollen«, erklärte Jean-François, »aber antike Autoren haben Manetho ausführlich zitiert und damit für uns erhalten, etwa so wie der Bernstein ein Insekt konserviert. Ich habe mir diese Passagen alle herausgeschrieben und zu einer Chronologie zusammengefaßt. Leider widersprechen sie sich oft. Und wer weiß, wie genau Manetho selbst informiert war? Jedenfalls zählt er 31 Dynastien sterblicher Könige von insgesamt 5375 Jahren Dauer – bis Alexander der Große das Land eroberte. Davor haben angeblich mehrere tausend Jahre Götter und Halbgötter über Ägypten geherrscht, aber das ist Mythologie. Doch die 31 Dynastien sind auch für sich älter als die biblische Zeitrechnung.«
Fourier war beeindruckt von den Ausführungen des Elfjährigen, zugleich aber unangenehm berührt von seinem belehrenden Duktus. Das sind Halbwüchsigen-Allüren, entschuldigte er ihn, der Bursche ist unterfordert und unsicher zugleich. Außerdem fehlt ihm der geistige Austausch.
»Und das sind also die Dinge, mit denen du dich nach dem Unterricht beschäftigst?« fragte er.
Jean-François war wieder an den schwarzen Männertorso getreten und blickte gedankenverloren auf die Hieroglyphen, die dessen Gürtel schmückten.
»Sage mir«, fuhr der Präfekt etwas lauter fort, »wenn die Bibel, was mir auch schon aufgefallen ist, kaum Pharaonen beim Namen nennt, so berichtet sie doch zumindest sehr anschaulich von
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