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Der Raritätenladen

Der Raritätenladen

Titel: Der Raritätenladen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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gewohnt, meine Gäste selbst herumzuführen, was ich auch jetzt noch tun würde, wenn meine Nerven nicht unbedingt eine kleine Erleichterung verlangten. Bedenken Sie wohl, es ist kein gewöhnliches Anerbieten«, sagte die Dame, ganz in den Ton verfallend, in dem sie ihr Publikum anzureden pflegte; »es ist Jarleys Wachsfigurenkabinett – das nicht zu vergessen! Die Beschäftigung ist ganz leicht und anständig, die Gesellschaft auserlesen, und die Vorstellung findet in Versammlungssälen, Rathäusern, großen Gasthofzimmern oder Auktionsgalerien statt. Wohlgemerkt, bei Jarley gibt es kein Vagabundieren auf offener Straße; bedenkt, bei Jarley gibt es keine bemalte Leinwand noch Sägemehl. Jede durch die Zettel verheißene Erwartung wird im höchsten Grade gerechtfertigt, und das Ganze macht
einen imposanten, glanzvollen Effekt, der bisher in diesem Königreiche nicht seinesgleichen hatte. Nicht zu vergessen, daß der Eintrittspreis nur sechs Pence beträgt und daß sich eine solche Gelegenheit vielleicht nie wieder finden wird.«
    Indem sie nun, als sie all dies vorgebracht hatte, von dem Erhabenen zu den Einzelheiten des gemeinen Lebens hinunterstieg, bemerkte Madame Jarley, hinsichtlich des Gehalts könne sie sich zu keiner bestimmten Summe verpflichten, bis sie Nells Fähigkeiten genügend erprobt und sie bei der Ausübung ihrer Pflichten hinreichend beobachtet hätte. Aber sie verbürgte sich, Nell und deren Großvater Wohnung und Kost zu geben, und gab außerdem noch ihr Ehrenwort, daß die Mahlzeiten reichlich und gut sein würden.
    Während Nell und ihr Großvater miteinander zu Rate gingen, spazierte Madame Jarley, die Hände auf dem Rücken, mit ungemeiner Würde und Selbstachtung im Wagen auf und ab, wie sie es nach dem Teetrinken auf der festen Erde getan hatte. Jedenfalls ist dies kein so geringfügiger Umstand, daß er nicht erwähnenswert wäre, wenn man bedenkt, daß der Wagen die ganze Zeit über hin und her schwankte und daß nur eine Person von großer, natürlicher Würde und erworbener Grazie das Stolpern vermeiden konnte.
    »Nun, Kind?« rief Madame Jarley stehenbleibend, als Nelly sich zu ihr wandte.
    »Wir sind Ihnen sehr verpflichtet, Madame, und nehmen Ihr Anerbieten dankbar an.«
    »Und es soll dich gewiß nicht reuen«, entgegnete Madame Jarley; »davon bin ich überzeugt! Nun aber die Sache abgemacht ist, wollen wir ein kleines Abendessen einnehmen.«
    Der Wagen holperte inzwischen fort, als ob er auch Doppelbier getrunken hätte und schläfrig wäre, bis er endlich das Straßenpflaster einer Stadt erreichte, in der kein Mensch sich
mehr sehen ließ und alles eine tiefe Ruhe bekundete, denn es war jetzt fast Mitternacht und die Einwohnerschaft samt und sonders in ihren Betten. Da es zu spät war, um nach dem Ausstellungslokal zu gehen, so lenkten sie einem Stück unbebauten Grundes zu, das gerade innerhalb des alten Stadttores lag, und schlugen daselbst ihr Nachtquartier auf, hart neben einem andern Wagen, der, obwohl er auf der gesetzlichen Tafel den großen Namen ›Jarley‹ trug und außerdem die Wachsfiguren, den Stolz des Landes, von Ort zu Ort führen mußte, von einem niedrig denkenden Steueramte als ›gemeiner Frachtwagen‹ bezeichnet und sogar numeriert worden war – siebentausend und etliche Hundert –, als ob seine kostbare Last aus eitel Mehl oder Kohlen bestände!
    Da diese mißhandelte Equipage leer war – sie hatte nämlich ihren Inhalt bereits an das Ausstellungslokal abgeliefert und wartete hier nur, bis ihre Dienste wieder in Anspruch genommen wurden –, bestimmte man sie für den Alten als Schlafstätte, und in ihren Holzwänden bereitete ihm Nell ein so gutes Bett, als dies mit den vorhandenen Materialien möglich war. Sie selbst sollte in Madame Jarleys eignem Reisewagen schlafen, zum ausdrücklichen Beweis der Gunst und des Vertrauens, mit denen sie jene Dame beglückte.
    Sie hatte ihren Großvater verlassen und wollte eben zu dem andern Wagen zurückkehren, als sie sich durch die angenehme Kühle der Nacht verleiten ließ, noch ein wenig im Freien zu verweilen. Der Mond schien auf das alte Stadttor, so daß der niedrige, gewölbte Durchgang nur um so schwärzer und finsterer aussah; und mit einem Gefühl, das halb Neugierde, halb Furcht war, näherte sie sich ihm langsam, blieb stehen und wunderte sich, wie finster, grauenhaft, alt und kalt es darin war.
    Da war eine leere Nische, aus der vielleicht vor Jahrhunder
ten irgendeine Statue heruntergefallen oder

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