Der Raritätenladen
vorwärts zu kommen als die Uhren, und auch diese hatten so schwerfällige Zifferblätter, so schläfrige, träge Zeiger und so schnarrende Stimmen, daß sie sicherlich auch zu langsam gingen. Sogar die Hunde schliefen samt und sonders. Und die Fliegen, trunken von dem feuchten Zucker in des Kaufmanns Laden, vergaßen ihre Flügel und ihre Behendigkeit und ließen sich in staubigen Fensterecken zu Tode backen.
Der Wagen rumpelte mit einem höchst ungewöhnlichen Geräusch dahin und machte endlich vor dem Ausstellungslokale halt, wo Nell inmitten einer bewundernden Kindergruppe ausstieg, die sie augenscheinlich für ein wichtiges Stück der Raritätensammlung hielten und fest davon überzeugt waren, ihr Großvater wäre ein kunstvoller Entwurf in Wachs. Die Kisten wurden mit aller gebührenden Eile herausgenommen, abgeladen und ins Haus gebracht, um von Frau Jarley aufgeschlossen zu werden, die mit George und einem andern Mann in samtnen Kniehosen und einem gelblichgrauen Hut, geschmückt mit Wegmautkarten, bereitstand, um ihren Inhalt, rote Girlanden und Tapetenornamente, so anzuordnen, wie es am vorteilhaftesten für die Ausschmückung des Raumes war.
Alle gingen an die Arbeit, ohne auch nur eine Sekunde Zeit zu verlieren, und waren sehr geschäftig. Da die staunenerregende Sammlung noch durch Tücher verhüllt war, um jede Verunreinigung durch den neidischen Staub fernzuhalten, beeilte sich Nell, bei der Ausschmückung des Saales zu helfen, und auch ihr Großvater leistete gute Dienste. Die zwei Männer waren an das Geschäft bereits gewöhnt und förderten es in kurzer Zeit sehr, während Madame Jarley aus einer leinenen
Tasche, wie sie die Zolleinnehmer zu tragen pflegen, die mit zinnernen Köpfen versehenen Tapeziernägel herauslangte und ihre Gehilfen zu beschleunigter Tätigkeit anspornte.
Während sie noch vollauf beschäftigt waren, blickte ein länglicher Gentleman mit einer Hakennase und schwarzem Haar freundlich lächelnd zur Tür herein; er trug einen militärischen, an den Ärmeln sehr kurzen und engen Überrock, der seinerzeit mit Schnüren und Borten verziert gewesen, nun aber aller Garnierung bar und ganz fadenscheinig war, ein Paar alte, graue Pantalons, die knapp seine Beine umschlossen, und ein Paar Tanzschuhe, die bereits ihren Lebenswinter erreicht hatten. Da Madame Jarley mit dem Rücken gegen ihn stand, hob der militärische Herr warnend den Zeigefinger zum Zeichen, daß ihre Myrmidonen seine Anwesenheit nicht verraten sollten; dann stahl er sich dicht hinter sie, tippte auf ihren Nacken und rief scherzend:
»Puh!«
»Was, Herr Slum?« rief die Eigentümerin des Wachsfigurenkabinetts. »Herrje, wer hätte auch gedacht, Sie hier zu sehen!«
»Bei meiner Seel und Ehre«, versetzte Herr Slum, »das ist eine gute Bemerkung. Bei meiner Seel und Ehre, das ist eine weise Bemerkung. Wer hätte es auch gedacht? George, mein treuer Bursche, wie gehts Euch?«
George nahm diese Begrüßung mit sauertöpfischer Gleichgültigkeit hin, und während er lustig forthämmerte, bemerkte er nur, was das anlange, so befände er sich wohl genug.
»Ich kam hierher«, sagte der militärische Herr zu Madame Jarley gewandt, »bei meiner Seel und Ehre, ich weiß selbst kaum, weswegen ich herkam. Ich wäre in Verlegenheit, wenn ich den Grund sagen müßte – ja, bei Gott, das wäre ich! Ich brauchte ein bißchen Inspiration, ein bißchen Auffrischung, ein bißchen Ideenwechsel und – bei meiner Seel und Ehre«,
fuhr der militärische Gentleman sich plötzlich unterbrechend fort, indem er sich im Saale umsah, »was für ein verteufelt klassisches Ding das ist! Bei Gott, es ist ganz minervianisch!«
»Es wird sich gut genug ausnehmen, wenn es ganz fertig ist«, bemerkte Madame Jarley.
»Gut genug?« versetzte Herr Slum. »Werden Sie mir glauben, daß es das Entzücken meines Lebens ist, in die Poesie gepfuscht zu haben, wenn ich bedenke, daß ich meine Feder an diesem bezaubernden Thema versuchte? Apropos, keine Aufträge? Gibt es keine Kleinigkeit, die ich für Sie besorgen könnte?«
»Es kommt gar zu hoch zu stehen, Sir«, entgegnete Madame Jarley, »und ich glaube auch wirklich nicht, daß es viel Nutzen bringt.«
»Bst! Nicht doch, nein!« erwiderte Herr Slum, seine Hand erhebend. »Keine Possen! Ich will nichts davon hören. Sagen Sie nicht, es bringe keinen Nutzen! Sagen Sie das nicht! Ich weiß das besser!«
»Ich glaube nicht, daß es nützt«, sagte Madame Jarley.
»Ha ha!« rief Herr Slum, »Sie
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